Muss ich mich „vertragen“
Thursday 23 April 2009
Liebe Alice Miller und Team,
Ihre Bücher, vor allem „dein gerettetes Leben“ haben mir sehr geholfen. Velen Dank dafür!
Ich stehe nun allerdings vor einem Problem, das mir nicht lösbar erscheint: Ich habe seit längerem den Kontakt zu meinen Eltern und auch meiner Schwester eingestellt. Seitdem ging es mir langsam etwas besser.
Ich übe sozusagen, der Anwalt meines inneren Kindes zu sein.
Nun hat meine 16-jährige Tochter beschlossen, den Kontakt zu ihren Verwandten (meinen Eltern und meiner Schwester) zu aktivieren. Ich habe lange Gespräche mit ihr geführt, warum ich es für mich nicht mehr will. Sie war nun bei meinen Eltern und bei meiner Schwester. Nun soll auch mein Mann mitfahren.
Zuerst habe ich sie ausdrücklich ermutigt. Ich weiss, dass sie ihr eigenes Verhältnis zu den Leuten finden muss. Sie hat ein Recht darauf, sich mit ihnen zu treffen.
In mir brechen aber nun wiederdie alten Kinderängste hervor: Ich weiss, wie charmant meine Verwandtschaft sein kann, sie beteuern bis heute, dass ich ja keinen Kontakt mehr will, an ihnen läge es nicht.
Sie haben nichts falsch gemacht. Jahrzehntelang (ich bin jetzt Mitte 40) habe ich erklärt, mich gerechtfertigt, um Verständnis gebettelt, meine ganze Energie floss in den vergeblichen Versuch einer guten Beziehung. Ich habe bis vor ca. einem Jahr immer gewartet, auf ihre Anerkennung.
Wenn ich von meinen Gefühlen berichtete, waren diese Blödsinn, Quatsch. Ich die Böse, die anderen sind richtig. Selbst diese Wahrnehmung wurde abgetan, ich sei verrückt, meine Gefühle waren sowieso immer falsch.
Mein Vater war/ist Alkoholiker und fernsehsüchtig. Meine Mutter flüchtete in Krankheiten und hat mir immer ihre Ehe- und sonstigen Probleme erzählt. Ich und meine Geschwister waren zu dritt in einem Zimmer, bis ich 17 wurde, aber Urlaube konnte man machen. Unsere Tiere leben mit mehr Platz als wir damals.
Ich habe sehr hart an mir gearbeitet und tue es noch, nicht zuletzt mit Ihren Büchern, die ich immer wieder lese, damit ich nicht alleine stehe. Auch die vielen Leserbriefe helfen mir sehr.
Und nun habe ich Angst, gräßliche Angst: Meine Herkunftsfamilie gleicht einem trojanischen Pferd: Sie haben sich immer durch alle Verteidungslinien geschmuggelt, weil sie sich verkleiden. Sie zeigen meiner Tochter ein Gesicht der Täuschung, sie sind ja die Freundlichen, die Guten….“ wenn nur deine Mutter nicht so wäre, hätte ich dich öfter gesehen; aber sie hat sich ja nicht darum gekümmert….“ Zitat meiner Schwester. Ich habe auch Angst, dass sie meine Tochter erzählt, an ihr läge es ja nicht, sie will ja Kontakt zu mir.
Mein Mann versteht zwar mittlerweile, dass ich diese Leute, die im Prinzip Fremde für mich sind, nicht mehr treffen will; aber er würde wegen unserer Tochter bestimmt mitfahren. Meine Tochter möchte auch, dass ich mich vor allem mit meiner Schwester wieder verstehe. Aber ich fühle mich extrem unter Druck: Ic
Meine Frage lautet: Wie kann ich selber damit umgehen? Ich will diese Menschen nicht mehr in meinem Leben haben.
Nach einem Riesenstreit mit meiner Tochter habe ich auch wieder körperliche Symptome wie Atemnot. Meine Nase geht ständig zu, ich fühle mich sehr elend.
Ich will ein engagierter Anwalt meines inneren Kindes weiterhin bleiben und noch mehr werden.
Ich will in meiner zweiten Lebenshälfte mich selber beschützen.
Sie können den Brief gerne veröffentlichen, evtl. ist dieses Problem ja nicht so selten?
Eine Antwort wäre schön.
Viele Grüße auch an Ihr Team!
B. J.
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AM: Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als Ihre EIGENEN Gefühle ernst zu nehmen, sonst bekommen Sie (offenbar schwere) Symptome. Niemand mehr kann Sie heute dazu zwingen, sich mit jemandem zu „vertragen“ und Ihre echten Gefühle zu ignorieren, wie Ihre Eltern dies taten. Vielleicht erwarten Sie von Ihrer Tochter, dass zumindest sie Sie versteht, aber offenbar kann sie das nicht. Wichtig ist, dass SIE sich verstehen und danach handeln.