Blinde Unterwerfung

Blinde Unterwerfung
Saturday 09 September 2006

Liebe Frau Miller,
als ich ein Kind war dachte ich immer mein Vater wäre ein Monster das sich transformierte, damit ich es nicht erkenne, wenn ich in den Raum komme.
Heute da ich Erwachsen bin, denke ich das nicht mehr…
Ich wuchs hier in Deutschland auf, meine Schwester bei einem sehr sadistischen Onkel in Italien, damit sie dort ihre Schule fertig machen konnte, weil meine Eltern dachten, das sei besser für sie. Meine Eltern, Italiener und sehr katholisch, sind vor 30 Jahren nach Deutschland ausgewandert, weil es in Italien für unseren Vater keine Arbeit gab.
Der Onkel der sich nicht zu helfen wußte als meine Schwester sich in der Pubertät gegen ihn auflehnte da seine Art von Erziehung falsch war, schickte sie dann mit 15 wieder zu uns zurück. Zwischen mir und meiner Schwester liegen 7 Jahre unterschied. Ich bin jetzt 27 und sie 34.
Mein Vater war leider ein sehr jähzorniger Mann, er verlangte von uns blinde Unterwerfung und die bedingungslose Identifizierung mit seinen Werten und Vorstellungen, die er mir grausamer Gewalt und Brutalität durchzusetzen versuchte.
Meine Mutter, eine sehr gutmütige Frau, die sich gegen unseren Vater nie durchsetzen konnte, mußte sich, besonders in der Pubertät, die Gewalttaten meines Vaters ansehen und konnte mich nur beschützen, als ich noch ein Kind war.
Meine Schwester verließ unser Zuhause mit 18 und lebte seit dem mit ihrem jetzigen Mann zusammen. Ich unternahm meinen ersten Fluchtversuch mit 14, doch das Jugendamt, durch meinen Vater geblendet, schickte mich zurück. Mit 16 lief ich nach einer Schlägerei mit meinem Vater weg, weil er versucht hatte, mich mit einer gläsernen Wasserflasche zu erschlagen und mich übel zugerichtet hatte. Er hatte mir die Rippen gebrochen.
Ich habe Bücher von ihnen gelesen und bin froh, dass es so jemanden wie Sie gibt, der nicht blind akzeptiert und sich sein ganzes Leben lang gegen jede Form von Gewalt auflehnt und die Hintergründe sichtbar macht. Ich danke Ihnen für Ihre Bücher damit der Welt die Augen geöffnet werden kann.
Ich hatte in meinem Leben, und dafür bin ich sehr dankbar, viele andere Menschen die mir ein gutes Beispiel sein konnten, Freunde, Lehrer, meine Schwester, die mir immer vor Augen hielt, dass es falsch war, geschlagen zu werden, und meine jetzige Partnerin.
Traurig ist, dass jeder in unserer Familie an diesen Mißhandlungen leiden mußte, durch Erkrankungen, die ausgelöst wurden, weil mein Vater, sein Vater und dessen Vater nie erkannt haben, dass es ein Fehler ist, seine Kinder zu quälen.
Meine Schwester hat seit Jahren mit Depressionen zu kämpfen, meine Mutter hat die Krankheit des Vergessens (Alzheimer); ich hatte einen schrecklichen depressiven Einbruch Anfang zwanzig, der einzige der bis jetzt ungeschoren davon gekommen ist, ist mein Vater…
Ich bedanke mich bei Ihnen das Sie sich die Zeit nehmen werden meinen Brief an Sie zu lesen, und würde mich über eine Antwort freuen…
Mit den allerherzlichsten Grüssen, C

AM: Warum konnten Sie noch als Kind denken, Ihr Vater wäre ein Monster, aber jetzt “nicht mehr”?

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet