Endlich frei von Depressionen
Friday 08 May 2009
Sehr geehrte Frau Miller,
ich hatte Ihnen schon zweimal auf diesem Wege geschrieben und ermutigende Reaktionen von Ihnen bekommen.
Mir geht es seit vielen Monaten ausgezeichnet, die jahrzehntelangen Depressionen und sonstigen Beschwerden sind verschwunden,
kaum zu glauben. Allerdings ist mir vor einigen Tagen etwas Seltsames passiert.
Bei einem meiner Spaziergänge kam mir der Gedanke, dass ich in meinem Elternhaus eigentlich
überhaupt gar keine Liebe bekommen habe. Was ich statt dessen während meiner Kindheit bekommen habe,
wird in dieser Rubrik oft genug auch von vielen anderen Menschen beschrieben,
das wiederhole ich jetzt nicht. In dieser absoluten Deutlichkeit war mir das bisher gar nicht so bewusst.
Es hat mich aber nun auch nicht mehr erschreckt oder erschüttert. Seit ich mich endgültig von meiner Herkunftsfamilie getrennt habe
(ist nun auch schon eine ziemliche Weile her), hat sich diese letzte Erkenntnis irgendwie angebahnt.
Es war, als ob der letzte Schatten der Illusionen über mein Kinderschicksal sich verflüchtigt und ich fühlte mich danach freier als je zuvor.
Und was meine Eltern damals angetrieben hat, interessiert mich längst nicht mehr
Ich wollte Ihnen dies gern noch mitteilen, ich gedenke ja auch ein Buch zu schreiben, aber die Fülle der Gedanken über
zum großen Teil grausame seelische Erlebnisse und Jahre lässt sich nur schwer bändigen und in geeignete Form bringen.
Wichtig ist, dass es mir jetzt gut geht, die Jahre der Schmerzen und der inneren Leere sind endgültig vorbei,
gerade diese unglaubliche, sinnlose Leere und Verlassenheit hatten das Leben für mich über lange Zeit zur Hölle ohne Aussicht auf Besserung gemacht.
Dass ich mich da hindurch und heraus gekämpft habe, fühlt sich heute für mich wie ein Wunder an, ich habe dieses Wunder für mich und meine
Kinder bewerkstelligt, das kann mir niemand mehr nehmen. Woher ich die Kraft dafür genommen habe und nie aufgegeben habe?
Ich glaube, dass ich das emotionale Desaster schon als Kind zumindest in Ansätzen gespürt habe, irgendwas lief da falsch, ich war als Siebenjähriger mit der Depression bekannt, ohne den Fachausdruck zu wissen. Dies fiel mir erst viele Jahre später wieder ein, als ich mich daran erinnerte, dass ich schon als Kind aus der Not heraus heftige Gefühlsregungen bewußt abgewürgt habe, ohne die verheerenden Konsequenzen zu kennen.
Sicher hat mich die Erinnerung daran dann aber auch gerettet, denn ich hatte in Kindheit und Jugend nie einen mir persönlich zugewandten Menschen, da bin ich mir ganz sicher. Erst durch meine Kinder und spätere Begegnungen als Erwachsener und durch Ihre Bücher usw. kam dann in einem sehr langen Prozess die Klarheit und die Fähigkeit, Gefühle voll und ganz zu erleben. Unterm Strich hatte ich auch eine Menge Glück, verglichen mit all jenen, die ihr Seelenleben opfern, um ihren Eltern nicht zu schaden und die ihr Leben blind vergeuden, weil Sie es nicht besser wissen.
Ich grüße Sie ganz herzlich, IP
AM: Wie Sie sich denken können, habe ich mich sehr gefreut über Ihren Brief, auch über die früheren bereits. Es freut mich vor allem, dass es Ihnen so gut geht, aber natürlich auch, dass Sie meine festen Überzeugungen aus eigener Erfahrung und nicht mit leeren Worten bestätigen. Denn man kann sich zweifellos helfen, wenn man die eigenen starken Gefühle zulässt und sie zu verstehen lernt, sobald man die Angst vor den strafenden Eltern vermindern oder ganz auflösen konnte. Sie schreiben wie auch andere, dass Sie sich mit dem neu gewonnenen Wissen zuweilen mehr isoliert fühlen mögen in der großen Gesellschaft. Das ist verständlich. Aber offenbar haben Sie in Ihrer eigenen neuen Familie “Gleichgesinnte”, so können Sie Ihre Gefühle leben und Gedanken austauschen. Das ist ein großes Geschenk nach der schweren Arbeit, die Sie leisten mussten, um zu dieser Freiheit zu kommen. Ich bin froh, dass Sie ein Buch planen.