Sind Kinder Aliens?

Sind Kinder Aliens?
Tuesday 12 June 2007

SIND KINDER ALIENS (Leserbrief vom 9. Juni 2007)
Liebe Alice Miller
ich würde gerne zu dem Schreiben vom 9.6. noch etwas hinzufügen, vielleicht ist es für W.B. noch interessant…
Manchmal könnte man glauben, daß das Böse eigentlich immer durch die Geburt eines Kindes auf die Welt kommt. Das Kind ist immer vom Teufel besessen, nicht die Eltern, die ja so tugendhaft geworden sind durch ihre “gute Erziehung”. Kinder, eben auch Säuglinge müssen für all das Böse (die Wut, Hass, Zerstörungswut, Angst, Elend) auf dieser Welt herhalten. Man möchte meinen, sie verbreiten das Böse schlechthin, all das scheinen unschuldige Kinder in die Wiege gelegt zu bekommen.
Die Menschheitsgeschichte ist voll von dem Bösen, das das Kind über die Eltern, über die Gesellschaft bringt. Und solange es immer noch Eltern gibt, die sich vor den Gefühlen und Bedürfnissen des Säuglings schützen müssen, die dessen unschuldige Äußerung seiner Gefühle und Bedürfnisse als Bedrohung empfinden, oder gar seine Hilflosigkeit als Tyrannisierung, werden diese Vorstellungen von den “bösen Kindern” mit unserer Lebensgeschichte weitergegeben und in unserer Kulturgeschichte weiter in intellektuellen Varianten produziert und als gegeben hingenommen.
Gute filmische Beispiele sind u.a. auch ROSEMARYS BABY von Roman Polanski oder CARRIE – DES SATANS JÜNGSTE TOCHTER von Brian De Palma. Bei diesen beiden Filmen kommen die perversen Ängste, die immer die eigenen Eltern vermittelten, ganz deutlich zu Tage.
Es gibt verschiedene Facetten bzw. Hintergründe, weshalb eine Mutter Angst, Wut oder in Verzweiflung ausbricht, wenn sie schwanger ist und das Kind gebären soll. Sie wird Angst haben, auch Zorn und Neid, sich rächen, wenn sie u.a. als Kind selbst nicht erwünscht war, wenn ihre Mutter sie als Spiegel, als Mutterersatz oder als Projektionsfläche ihres Hasses, ihrer Wut mißbrauchte. Es hängt in jedem Fall von ihrem eigenem und gewollten Zugang zu ihrer Kindheitsgeschichte und dem Wissen über erlittene Verletzungen ab, wie sie mit der Schwangerschaft, der Geburt und dem Baby dann umgehen wird.
Der Neid auf die nächste Generation, unsere Kinder, mit dem Wissen, dass sie uns überleben werden, ist, denke ich, ganz stark von dem oben genannten abhängig und nicht als seperates anthropologisches Verhalten zu betrachten.
Viele Grüsse, m.b.

AM: Vielen Dank für Ihre Ergänzung. Ich stimme Ihnen zu. Wenn wir die einfache, aber schmerzhafte Wahrheit ohne Beschönigung zulassen können, brauchen wir keine Theorien. Das Licht wird klarer. Aber manchmal ist die Wahrheit so entsetzlich, dass wir viel Zeit brauchen, bis wir sie voll zulassen können. In der Zwischenzeit dienen uns die Theorien als Krücken.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet