Die Qual der Schuldgefühle

Die Qual der Schuldgefühle
Thursday 18 January 2007

Sehr geehrte Frau Miller,

Auch ich danke Ihnen, dass es Sie gibt. Ich habe Ihre Webseite letztes Jahr entdecken bei dem Forum von Pyschologies.com.
Verzeihen Sie mir, meine deutschen Schreibfehler aber, obwohl ich mit einem Deutschen verheiratet bin, war ich nie in einer deutscher Schule.
Als ich Ihre Schriften gelesen habe (auch ein Buch von Ihnen) war es wie ein Wunder. Alles was ich seit langem geahnt hatte, wurde durch Sie bestätigt. Endlich habe ich jemanden gefunden, der mir aus der Seele spricht! Ich hatte vorher nirgendwo, irgendwas gelesen, was die Misshandlungen an Kindern verurteilt und dass, in der Kindheit die Ursprünge für das Uebel auf der Welt zu suchen ist.
Ich will mich mit meiner Geschichte kurz fassen. Auch ich bin misshandelt worden und als böses Kind apostrophiert. Heute, wo ich alles durchschaut habe (schon seit Jahren) bin ich immer noch nicht in der Lage meine Mutter dafür zu verurteilen. Obwohl ich sagen kann, dass ich sie nicht mehr liebe (ich habe auch seit 2 Jahren keinen Kontakt und sie fehlt mir absolut nicht) habe ich noch das Gefühl dass ich mit meiner Wut nicht richtig in Kontakt komme. Manchmal wenn ich eine Krise von Hypochondrie oder Angst habe, weine ich und verfluche sie in alle Ewigkeit. Ich bin wütend auf sie und hasse sie dann in den Moment wirklich. Aber, warum höre ich dann nicht auf mich weiter zu quälen mit Angstanfälle und Selbstbestrafung? Mein unbewusstes Schuldgefühl ihr gegenüber scheint so gross zu sein (ich denke, ich habe ihr damals den Tod gewünscht) dass ich das Gefühl habe, ich habe noch nicht genug bezahlt dafür. Kurz gesagt, mein Bedürfnis nach Strafe ist voll da. Ich spüre ihn jeden Tag, in jeder Handlung von mir.
Es ist eine richtige Sucht nach Masochismus. Wie soll ich mein (un)bewusstes Schuldgefühl auflösen, damit die Sucht nach Strafe aufhört? Haben Sie ein Rat, wie ich das schaffen könnte?

Ich danke ihnen tausend Mal fuer ihr Kampf gegen die Blindheit der Gesellschaft.
A. S.

AM: Es ist Ihrer Mutter tatsächlich gelungen, Ihnen Ihre echten, normalsten Gefühle so stark zu verbieten, dass diese Ihnen noch bis heute Angst machen. Ihre Mutter belastete Sie mit schwersten Schuldgefühlen, damit sie ihr EIGENES Verhalten nicht in Frage ZU STELLEN BRAUCHTE. Das bedeutet so viel, wie das emotionale Leben des Kindes zu töten. Es ist daher kein Wunder, dass Sie Ihre Mutter manchmal für diesen Mord hassten, zumal sie von ihr als Kind total abhängig waren. Doch zum Glück konnten Sie noch manchmal hassen und vielleicht auch spüren, dass ihre Mutter Ihren Hass verdient hat. Das rettete Ihr wahres Selbst. Es gibt Menschen, bei denen diese Gefühle vollständig blockiert sind. Nun wollen Sie mit Recht Ihre Schuldgefühle loswerden. Das können Sie, wenn es Ihnen klar wird, dass Ihre Wut total BERECHTIGT war. Sie können an Ihre Mutter Briefe schreiben, ohne sie wegzuschicken, und ihr aufzählen, was sie Ihnen angetan hat und wie Sie darunter gelitten haben. So geben Sie Ihrem Selbst mehr Raum, um wachsen zu können und sich nicht für die Bedürfnisse Ihrer Mutter und ihre Versionen missbrauchen zu lassen.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet