Hilfe

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Saturday 16 June 2007

Sehr geehrte Frau Miller,

ich habe schon mehrfach an Sie geschrieben und danke dafür sehr.
Heute wende ich mich an Sie, weil wie ein roter Faden die Problematik in meinem Leben sich darstellt.
Ich arbeite in einer Kinderkrippe und bin immer wieder wütend wie mit diesen unschuldigen Kindern umgegangen wird. Die Frauen der Geschäftsleitung verstehen sich auf das Schönreden und meine ganze Kritik verpufft im Nirwana, noch wütender. Dann versuche ich wieder einfach nur mit den Kindern zu sein, aber ich arbeite im Team.
Ich habe selbst eine schwere und gewalttätige Kindheit und meine Eltern waren wie KZ–Aufseher zu uns, wirklich, aber das endet immer damit, dass die Leute Mitleid haben und meinen, so schlimm wie bei mir war es doch selten, ich meine dazu Nein, ich bin nur bereit den Schmerz zu spüren.

Nun bemerke ich, dass ich sehr schnell auf mein Umfeld reagiere, eine Kollegin hat die ähnlichen Methoden wie meine Mutter, und ich werde in meinem Verhalten fast zu einem Kind. (Obwohl die Kollegin 20 Jahre jünger ist).
Meine Chefinnen können mich auch ganz gut manipulieren und dann fühle ich mich auch wie ein hilfloses Kind.
Vielleicht verstehen sie mich ohne weiter Erklärungen.
Wie kann ich aufhören mir selbst das Leben nach einem alten Schema schwer zu machen. Ich habe das Gefühl, ich bin wie ein Hamster im Laufrad.
Ich war lange in Therapie und meine Therapeutin wollte unbedingt auch privaten Kontakt, den ich aber abbrach, da es mir eine Nähe verschafft, die mir nicht gut tut.
Nun überlege ich, ob es Sinn machen würde eine Analyse, Hypnose zu machen, um endlich mit meinem destruktiven Verhalten Schluss zu machen.

Ich habe zwei liebenswerte erwachsene Kinder, die ich längst um Verzeihung bat für alle die Wunden die ich ihnen zufügte und sie haben mir glücklicherweise verziehen und unsere Liebe ist sehr ehrlich. Ich habe einen Lebensgefährten, einen Mann zum ersten Mal in meinem Leben der mich respektvoll liebt wie ich ihn.
Und all die liebenswerten Kleinkinder und Säuglinge die ich betreue, mit denen ich Yoga praktiziere (eigentlich lasse ich sie in der geschenkten Zeit nur SEIN und das sofern sie schon sprechen bezeichnen sie ganz glücklich als: Hanna komm Yoga!!

Trotzdem habe ich ständig eine Nasennebenhöhlenentzündung, einen Kloß im Hals und fühle mich unendlich erschöpft, würde am liebsten nicht mehr aufstehen.(Körperlich bin ich völlig gesund – meine Blutwerte sind prima und ich sehe immer sehr lebendig aus, wie man mir sagte)
Was kann ich tun, dass mich die Menschen nicht immer an meiner unentwickelten und sehr verletzten Stelle erwischen?
Ich praktiziere Yoga und Meditation auf eine sehr andere Art. Ich versuche zu spüren was es heißt sich zu lieben. Im Moment auch keine Hilfe.

Vielleicht haben sie einen Rat für mich bevor ich die Krippe aus Hilflosigkeit verlasse.

Herzlichen Dank, J. W.

AM: Bevor Sie die Krippe verlassen (müssten?), können Sie sie als Übungsfeld benutzen, um Ihren Mut zu entwickeln, Widerstand gegen den Unsinn der schwarzen Pädagogik zu leisten, Ihre Meinung zu sagen, all das, was Sie bei den Eltern nicht tun durften. Sie werden sicher die Angst des kleinen Kindes spüren, aber Sie werden sie aushalten, denn jetzt sind Sie nicht in Gefahr, Sie haben eine liebende Familie und sind erwachsen, Sie wissen, dass das, was Sie sagen, richtig ist, Sie brauchen sich nicht mehr wie ein Kind verwirren und verunsichern zu lassen. Die körperlichen Symptome werden verschwinden, sobald Sie wagen, Ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Dass die Hypnose Ihnen helfen soll, “mit allem fertig zu werden”, halte ich für eine Illusion, die übrigens nicht harmlos ist. Yoga ist genau dem entgegengesetzt, was ich meine, Yoga dient der Beruhigung, wo Unruhe herrscht – nicht ohne Grund. Es geht darum, diese Unruhe zu verstehen, ihr Ausdruck zu geben, auch wenn sie eine (heilsame) Wut enthält.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet