Die Gefühle Ihrer Kinder verstehen
Wednesday 08 February 2006
Sehr geehrte Frau Miller,
ihr Buch, das ich als erstes ihrer Bücher lese, „abbruch der schweigemauer“ erscheint mir wie eine freundin, die all das was ich mir langsam um mühsam erarbeitet habe, meinen weg, meinen weg zu mir, mein weg zur freiheit, bestätigt, zusammenfaßt. Meine Therapeutin hat mir Ihre Bücher empfohlen und ich hatte das unendliche Glück, daß sie eine wissende zeugin ist, und mir so geholfen hat, ja es erst ermöglicht, daß ich heute das glück aus mir spüren und leben kann, wie ein strahlender papagei der jahrelang in
gefangenschaft gelebt hat. ich sehe das strahlen der farben im herbst, ich spüre den sonnenuntergang, ich atme luft, ich lebe. ich lebe! zuvor bin ich gestorben.
magersucht, bulemie, alkoholkonsum, mich selbst geschnitten. mich selbst gequält und gehaßt. meine eltern haben mich mißbraucht, verraten, gedemütigt, geschlagen, allein gelassen. allein. ich war gefangen in diesem mißbrauch, gefangen in dem haß zu mir selbst. wenn ich heute laufen gehe, frei von alkohol, frei von nikotin, frei von schuld, frei von selbsthaß, rinnen mir die tränen vor glück.
ich werde fast jeden tag mit meinem mißbraucht konfrontiert. ich habe schmerzen in verschiedensten situationen. aber…ich spüre sie jetzt!
ich spüre sie und kann dadurch leben. zuvor war ich dumpf und der schmerz suchte sich andere wege. er kommt immer.
wie oft war ich verzweifelt und hatte angst nie frei zu sein. ich hab C.. s brief gelsen und möchte ihr so gern sagen, daß die hoffnung nicht umsonst ist, daß der weg nicht umsonst ist. ich kann heute mit meinen schmerzen konstruktiv, selbst liebend umgehen. ich kümmere mich um das kind in mir, das soviel gelitten hat. ich paße auf mich auf und rede wenn es weh tut, ich weine. ich male, ich lese, ich betreibe sport. ich atme.
meine frage an Sie:
ich möchte kinder haben, und ich setze mich jetzt damit auseinander wie ich mein kind erziehen möchte. auf eine liebevolle, warme art. doch fehlen mir teilweise antworten. wie setze ich meinem kind z.b. eine grenze auf respektvolle art. was mache ich wenn ich zu meinem kind sage, daß es etwas bestimmtes nicht tun soll (z.b. über die straße laufen) es ihm auch erkläre und es tut es trotzdem.
Mit den liebsten Grüßen
V
AM: Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Erfolg, auch wenn die Arbeit noch nicht abgeschlossen ist, aber Sie haben den wichtigsten Teil gemacht, sind in Berührung mit sich selbst und Ihrer Geschichte gekommen, jetzt kann es nicht mehr schief gehen. Ihre Sorge, Sie würden sich bei Ihrem Kind nicht „durchsetzen“ können, mag noch zu Ihrer Kindheitsgeschichte gehören, denn Kinder, die nicht gequält werden, haben es nicht nötig, uns zu quälen. Wenn sie klein sind, muss man sie im Verkehr auf den Arm nehmen und später kann man ihnen vieles beibringen, ohne sie zu ängstigen. Aber je besser Sie die Haltungen Ihrer Eltern und Erzieher erkennen, je deutlicher Sie heute spüren können, wie Sie unter ihnen gelitten haben, umso freier werden Sie leben und umso leichter wird es Ihnen fallen, Ihre Gefühle und die Ihrer Kinder zu verstehen. Man missachtet, ängstigt und misshandelt die eigenen Kinder nur solange man leugnet, dass man selbst in der Kindheit misshandelt wurde und die erhaltenen Schläge als Wohltat bezeichnet. Diese Gefahr scheint Ihnen nicht mehr zu drohen.