Die weinenden Menschen

Die weinenden Menschen
Sunday 25 November 2007

Liebe Frau Alice Miller!

In vielen Gedanken und Gefühlen vernetzen sich die Erfahrungen, die in so vielen einsamen und verzweifelten Augenblicken von einem selbst für nicht wahrnehmbar und fassbar gehalten werden. Das Erlittene und Entwürdigende in so vielen Kindheiten wird ja oft so banal und bagatellisiert dargestellt- fast so als wäre das ganz normal und “wen Gott liebt, den züchtigt er”! Das Aufräumen in diesen Kinderzimmern ist ein Weg, der Kraft und Zeit braucht! In Ihrer Arbeit liegt mehr, als es nur ein Lebenswerk zu nennen. Ich glaube sie ist ein Zeichen sich den verlorenen Räumen zu nähern und dort mit seiner Wahrheit das “neue” Leben einzurichten. Allein schon diese Vorstellung, dass diese Verbundenheit-egal wie sie aussieht oder wie sie sich vollzieht, eine große Kraft und Solidarität schafft, das finde ich wunderbar. Und auch jeder einzelne Mut, diesen heißen und vergifteten Brei der Kindheit auszusprechen, sich auf ein neues und gerettetes Leben zu freuen, denn es ist dann wirklich “sein/ihr” eigenes Leben, das fühlt und offen ist.
Nicht weil ich jetzt ein schon fast 50 Jahre “junger” Mann bin schreibe ich das, sondern weil ich auf einem langen Weg unterwegs – einmal meinen eigenen Tränen begegnet bin. Und die weinen mehr Menschen als ich es mir im Laufe meiner Entwicklungen und Begegnungen vorstellen konnte. Und was sie zum Vorschein bringen… ich wünsche allen weinenden Menschen Beistand und Menschen, die ein offenes Herz und Ohr haben.

Mit herzlichen Grüßen aus Nürnberg, J. S.

AM: Vielen dank für Ihren Brief, auch ich wünsche “allen weinenden Menschen Beistand von Menschen, die ein offenes Herz und Ohr haben”. Leider gibt es nicht viele, die zu weinen wagen, und nicht viele, die ihr Herz zu zeigen wagen. Man hat ihnen schon in der Kindheit beigebracht, hart zu sein und keine Gefühle zu haben.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet