Trauma auflösen?
Wednesday 19 November 2008
Sehr geehrte Frau Dr. Alice Miller,
ich möchte nur kurz darauf hinweisen, daß eine Auflösung von Traumen anscheinend nicht möglich ist. Hans-Joachim Maaz (der Neurologe und Psychologe ist) schreibt in seinem Buch: „Wenn wir wieder Fühlen können“ (S.140):
„Eine wirkliche Heilung früher seelischer Verletzungen und von Beziehungsdefiziten gibt es nicht. Die pathogenen frühen Erfahrungen können nicht wirklich beseitigt oder überwunden werden. Die neurobiologische Forschung bestätigt das zunehmend. Aber dennoch ist Psychotherapie hilfreich, das ist auch keine Frage mehr.“
D.h. die neurologisch angelegten Bahnen im Nervensystem des Gehirns sind in tieferen Ebenen gewachsen und von dort aus baut das weitere Denken auf. Weiter schreibt er:
„Es geht um einen bewussteren, reiferen, kompetenteren Umgang mit der eigenen Störung und Begrenzung. Ich kann mein Schicksal verstehen lernen, ich kann belastende Erfahrungen gefühlsmäßig verarbeiten und ich kann besseres Verhalten erlernen. So kann ich immer besser verstehen lernen, was mir gut tut und was nicht, was ich brauche, wovor ich mich schützen muß, wem ich aus dem Weg gehen muß, welche Hilfen ich benutzen kann und wie ich mein Verhalten nach meinen Möglichkeiten verändern und optimieren kann.Prävention ist besser als Therapie, aber auch wenn es keine wirkliche Heilung gibt, kann man sich nicht resigniert zurückziehen.“
Er meint damit, daß man seinen Gefühlen nachspüren muß, wie Fühle ich mich in dieser oder jener Situation, worüber er auch viel in seinen Büchern schreibt. Ich habe bisher „Die Liebesfalle“, „Der Lilithkomlex“ und „Wenn wir wieder Fühlen können“ gelesen. Der Inhalt ist ganz ähnlich wie bei Alice Miller’s Büchern, (wo die Ursache für seelische Fehlhaltungen in Frühstörungen gesucht wird), nur daß mehr auf das Gefühlsleben eingegangen wird, mit vielen beispielen, welche Aussagen falsch sind und wie es richtig sein sollte. Auch beschreibt er, wie man Kinder in ihrem Leben begleiten sollte (insbesondere in den ersten Lebensjahren), damit sie mit einem gesundem Gefühlsleben groß werden. (Besonders in „Der Lilithkomplex“, ziemlich am Schluß des Buches).
Hans-Joachim Maaz ist auch Chefarzt in der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik im Diakoniekrankenhaus Halle (http://www.diakoniewerk-halle.de/KH_Psychotherapie.html).
Frau Miller, ich hätte da noch eine Frage: Halten Sie es für möglich, daß da eine Verschwörungstheorie im gang ist, die verhindern will, daß Kinder gefühlsmäßig Gesund groß werden, damit unser Wirtschaftssystem immer willige Untertanen hat? Die aus einem Komplex heraus immer fleißig Konsumieren und bereit sind in den Krieg zu ziehen? In Wikipedia gibt es die Verschlußsache Freud:
„Eine sehr große Sammlung von Originalschriften und Briefen Freuds befindet sich in der Sigmund Freud Collection der Library of Congress in Washington. Aus nicht näher genannten Gründen sind insbesondere Briefe, die Freud verfaßt hat, teilweise bis über das Jahr 2060 unter Verschluß. Insbesondere für die Einsicht in Freuds Briefe benötigt man eine Sondergenehmigung des Leiters der Handschriftenabteilung nach Absprache mit den Sigmund Freud Archives in New York, welche aber nur in Ausnahmefällen erteilt wird. Für eine Reihe von Briefen gibt es nicht einmal ein Freigabedatum.“
In A. Miller 1988a, Kap. 7 beschreiben Sie, „…daß Freud ursprünglich in den teilweise noch mit Hypnose durchgeführten Behandlungen entdeckt hatte, daß alle seine Patientinnen und Patienten mißhandelte Kinder gewesen waren.“ Vermutlich sind Briefe in dieser Hinsicht unter Verschlußsache?
Denken Sie auch, daß es da eine Verschwörungstheorie gibt?
Liebe Grüße
W.S.
AM: Besten Dank für Ihren Hinweis auf die Arbeiten von Hans-Joachim Maaz, dessen Behauptung (vorausgesetzt, dass Sie sie korrekt wiedergeben), ich ablehnen muss, nicht zuletzt aufgrund meiner eigenen Erfahrung. Die heisame Wirkung der wiedergewonnenen Erinnerungen und der zornigen Reaktionen auf Verbrechen werden hier ignoriert. Es ist sicher richtig, dass die Folgen des Aufwachsens in einer lieblosen, grausamen Umgebung und deren Prägungen nicht vollständig beseitigt werden können. Es wäre eine Illusion, dies zu behaupten. Aber viele Folgen lassen sich auflösen, wenn die Geschichte der erfahrenen Misshandlungen ERKANNT, nicht mehr verleugnet wird und der Geschädigte lernt, mit seiner Wahrheit zu leben; wenn er sich erlaubt, seine Revolte zu spüren und sich nicht länger mit der Lüge täuschen will. Da alle Religionen diese Revolte verbieten und den Ahnenkult predigen, ist eine solche Erkenntnis der eigenen Wahrheit und die darauf folgenede Befreiung von krankhaften Symptomen leider nur selten möglich. Eine Verschwörungtheorie brauchen wir gar nicht anzunehmen, denn jeder Mensch, der sehr früh lernen musste, dass Schläge ihm gut getan hätten, hält diese Lüge aufrecht. Die Verleugnung der in der Kindheit erlittenen Schmerzen, gepaart mit dem Ahnenkult und der Angst vor der Strafe, wenn die Wahrheit erkannt wird, durchziehen alle mir bekannten Gesellschaften. Sie führen nicht nur zur Entstehung von Krankheiten, sondern verhindern auch deren Heilung.