Wartenmüssen
Saturday 24 January 2009
Liebe Alice,
Vielleicht wollen Sie ja den folgenden Beitrag auf Ihrer Leserpostseite veröffentlichen:Warten müssenMir ist vor kurzem klar geworden, dass eine der größten Qualen meiner Kindheit das Warten war. Ich wartete immer auf irgend etwas. Auf Zuwendung, Hilfe, Essen, Rat, Erlaubnis, ein Lächeln und vor allem auf Liebe. Und auf Liebe wartete ich stets vergeblich.
Das Wartenlassen, das Hinhalten ist eine subtile, aber sehr gemeine Form der Machtausübung. Kinder brauchen Hilfe. Und miese Eltern nutzen das aus, um die Kinder am langen Arm verhungern zu lassen.
Getarnt wird diese Misshandlung mit der Erziehungsformel des Geduldübens.
Kinder werden nur ungeduldig wenn man sie absichtlich hinhält. Das macht doch jeden wahnsinnig. Ich erinnere mich noch genau an die sadistische Genugtuung, die meine Eltern an den Tag legten, wenn sie mich zur Geduld ermahnten. Ich spürte, dass dahinter steckte: „Ich habe auch warten müssen, also musst du auch warten, ätsch!“. Manchmal sprachen sie das sogar aus (ohne „ätsch“) und fanden das auch noch richtig. Was für ein kindisches Verhalten!
„Wie sie mir, so ich dir!“ war die generelle Handlungsmotivation meiner Eltern. Sie gaben gerne weiter, was sie erlitten hatten. Mit Wonne, mit Genugtuung und mit nicht enden wollendem Sadismus. Mich widert das heute so an. Wie Menschen so bösartig sein können. Und so dumm und so unreflektiert. Angeblich gebildete Menschen, Akademiker!
Verblendet waren sie von dem, was ihnen als Kinder eingeprügelt worden war. Blind gehorchten sie dem Terror, der in ihnen herrschte.
Ich bin fassungslos über die Dimension der Grausamkeit, die sich immer mehr und immer deutlicher offenbart.
Sie kannten keine Freude, sondern nur Schadenfreude. Was für eine seelische Verkrüppelung! Und mit solchen Monstern musste ich aufwachsen…
Armes Kind, das ich war!
Mit erschütterten Grüßen
AM: Danke für Ihren Beitrag, der zweifellos vielen aus der Seele sprechen wird. Sie zeigen so deutlich den sadistischen Anteil dieser “Schadenfreude”