Verletzen ohne es zu merken
Tuesday 25 August 2009
Sehr geehrte Frau Dr. Miller und Team!
Einigen Kindern, die in diesem Bergkaff in dem ich geborenen bin, wohnen, habe ich versprochen auch diesen Sommer wiederzukommen und da bin ich nun seit einer Woche.
Ich beginne meinen Tag damit, dass ich das Fenster öffne und GOOD MORNING VIETNAM rausbrülle.
Denn ich finde, das trifft es auf den Punkt: Das hier ist Kriegesgebiet, auch wenn die Erwachsenen hier es anders sehen.
Viele Kinder hier müssen sich Strategien zurechtlegen, wie sie möglichst unbeschadet durch den Tag kommen, müssen wieselflink sein um den plötzlich von oben auf sie herabzischenden Händen zu entkommen, müssen ihre Gefühle verstecken und ihre Lebendigkeit weit in den Wald hineintragen, wo sie keinen Erwachsenen mehr stört , wenn sie diese behalten möchten.
Und bei weitem nicht alle Kinder kommen heil durch ihre Kindheit.
Folgende Bobachtungen möchte ich übermitteln:
Erwachsene, die ich entdeckt habe, die mit ihren Kindern statt über sie sprechen: 2 Omas.
Alle anderen sprechen neben ihren Kindern über sie: (Gestern war er wieder schlimm, sie will nicht einschlafen, was er wieder witziges gesagt hat, sie schaut aus wie die Oma und er hat den Sturschädel vom Opa….)
Als wären sie taub, dumm und unsichtbar, diese Kinder, die das alles hören.
Fragen, die ich an die Kinder stelle, werden einfach von den Erwachsenen beantwortet.
Ihre Kinder haben stumm zu bleiben.
Überraschung in den Gesichtern der Eltern, wenn ich meine Fragen erneut an die Kinder stelle und Verblüffung darüber, dass ihre Kinder sie so gut beantworten können.
Freude in den Gesichtern der Kinder darüber, dass ich wirklich ehrlich an ihnen interessiert bin und nicht an ihren Eltern.
Gleichgültigkeit gegenüber Dingen, die ich für gefährlich halte:
Als Nichtschwimmer knapp neben dem Fluß zu spielen ohne dass jemand hinschaut. Mit 8 Jahren alleine mit einer Axt in den Wald zu traben. Abends ohne Aufsicht vor dem Fernseher das Programm selbst wählen zu dürfen, wild zu raufen, sich gegenseitig lächerlich zu machen …verletzt zu werden und zu sage das sei egal und tue nicht weh…
Aufregen über Dinge die ich für Kleinigkeiten halte:
Ein zerbrochenes Glas, eine vergessene Socke, ein freches Wort, Aufregung wegen allem was die Erwachsenen als Widerstand gegen ihre vielen Gesetze empfinden.
Als ich das 4. Gebot umgeschrieben habe, hatte ich sogar ein flaues Gefühl im Magen.
“Liebe deine Söhne und deine Töchter, auf dass du lange lebest und es dir wohl ergehe auf Erden.”
Dennoch oder trotzdem werde ich das heute auf das schwarze Brett vor der Kirchentüre heften.
Und es wird sich richtig anfühlen.
Ich möchte aus ganzem Herzen, dass der Zeitpunkt für alle Kinder einmal kommt, auch wenn ich dann längst tot sein werde, an dem sie sagen können:
War is over!
Und meinen kleinen Beitrag dazu leisten.
Danke für die Möglichkeit ihnen zu schreiben. Dieses Wissen, dass es da draußen noch mehr Leute gibt, die sich für Kinder interessieren, tut einfach gut!
AM: Es ist gut, dass Sie auf Dinge aufmerksam machen, die vielen so selbstverständlich sind, dass sie die Verletzungen, die sie den Kindern erteilen, gar nicht wahrnehmen. diese nicht merken. Wie sollen sie das merken, wenn sie selber damit aufgewachsen sind und niemals darüber reflektiert haben?