das Mädchen in mir

das Mädchen in mir
Sunday 20 July 2008

Liebe Barbara, liebe Frau Miller,

nach einigen Monaten melde ich mich wieder bei Ihnen. Ich habe Ihr Buch “dein gerettetes Leben” zu Ende gelesen und es hilft mir bei dem Prozess, den ich jetzt durchlaufe. Nämlich der eigenen Wahrheit meiner Kindheit ins Auge zu sehen. Das letzte mal habe ich Ihnen geschrieben und sie haben mir geantwortet unter dem Titel “fehlende Wut”. Ihre Antwort hat mir sehr geholfen. Ja es ist wahr, dass die Trauer über den Missbrauch jetzt dran ist und das Kind in mir trauert noch immer. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht weine und es scheint so, als wäre die Trauer des Kindes Bodenlos. Das alles strengt mich sehr an und braucht meine ganze Kraft. Vor zwei Jahren noch war es mir nicht möglich, das Kind in mir zu entdecken und das Kind war stumm. Aber jetzt, nach dem ich mit meinem Bruder über den Missbrauch mit meinem anderen Bruder reden konnte, ist das Kind in mir am weinen und scheint nicht mehr aufzuhören.

Seit ein paar Wochen taucht allerdings das junge Mädchen in mir auf, dass ich einmal gewesen bin. Dieser Anteil in mir kann nicht trauern. Das Mädchen schämt sich, fühlt sich schuldig und ausgestoßen und schlecht. Ganz bestimmt ist es auch traurig, aber das Mädchen fühlt überhaupt nichts. Das einzige, was es fühlt ist Scham, Schuld und Verachtung sich selbst gegenüber. Ich versuche mit ihm Kontakt auf zu nehmen, aber es gelingt mir nicht. Und irgendwie merke ich, dass dieses Mädchen mir fremd ist und ich es irgendwie auch ablehne. Durch das Gespräch mit meinem Bruder weiß ich, dass in dieser Zeit mein anderer Bruder, der mich missbraucht hat, mich ständig gequält hat und verachtet hat und meine Mutter nie eingeschritten ist, um mich zu schützen. Das war die Zeit, wo ich den Missbrauch beenden konnte, also so im Alter von 13 Jahren. Von da an hat mein Bruder mich gequält, mich unterdrückt, sich über mich lustig gemacht, meinen Körper als hässlich bezeichnet und sich über mich lustig gemacht. Seit dieser Zeit bin ich dick geworden und habe mich als Frau immer abgelehnt.

Können Sie mir einen Rat geben, wie ich an das Mädchen herankommen kann und mich mit mir aussöhnen kann als Frau. Dass ich meinen Körper nicht mehr verachten muss und mich schön finden kann, so wie ich bin?

Ich danke Ihnen für Ihre Mühe und die Möglichkeit, auf diesem Weg durch das Internet einen Raum zu haben, mich mitzuteilen. Dadurch kann so viel heilen und durch die Aufarbeitung vielleicht doch ein wenig wieder gut werden. Dies schreibe ich bestimmt auch im Namen vieler anderer.

Ihre P.

AM: Ich weiss nicht, welche Art von Therapie Sie mchen. Kann es sein, dass in Ihrer Therapie viel Trauer erwartet wird, aber keine Wut? Das junge Mädchen hatte damals mi8t 13 die Kraft, wütend zu sein, aber das war ja verboten, und sie riskierte Strafen, vermutlich Schläge. Versuchen Sie sich mit diesem Mädchen zu verbinden und ihr helfen, die unbändige Wut auf Ihren Bruder und Ihre Eltern, die Sie nicht geschützt haben, endlich zu spüren. Nur so werden Sie sich befreien, nicht mit Weinen ein Jahr lang. Das ist dann nicht mehr nötig.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet