Wir lernen intensivst im ersten Lebensjahr

Wir lernen intensivst im ersten Lebensjahr
Monday 09 February 2009

Sehr verehrte Frau Miller,

habe mich jetzt entschlossen Ihnen zu schreiben, weil mich ein Artikel über Sie zum Lachen gebracht hat, einerseits; andererseits, und das ist der Hauptgrund aus – Dankbarkeit.

Zum Lachen gebracht, zumindest anfänglich, hat mich ein Artikel aus dem Jahre 1996 von Peter Haffner, der über Sie in der NZZ geschrieben hat. Ich habe im Internet nach Kritik an Ihnen gesucht und diesen Artikel gefunden. Obwohl der Artikel schon vor langer Zeit geschrieben wurde, war es mir ein Bedürfnis, Hr. Haffner darauf zu antworten. Sie stehen ja bei vielen in der Kritik, Hr. Haffner wirft Ihnen in dem Artikel u. a. Einfachheit vor. Darüber muss man – auch – lachen, denn die Wahrheit ist oft einfach. Viele scheuen sich sogar, Dinge einfach auszudrücken, vielleicht weil man sie dann nicht für intelligent hält. Die Wahrheit, dass die Kindheit und Jugend so stark das ganze Leben prägen ist einfach, nicht einfach ist es, sich damit ehrlich auseinanderzusetzen und nicht einfach sind Ihre Arbeit und auch die Schlüsse die sie ziehen. Aber die zentrale Wahrheit, die ist einfach, nur sind Sie meines Wissens nach die Erste oder einer der ersten die sich damit in „wahrer Weise“ auseinandergesetzt hat. Den Leserbrief kopiere ich ans Ende dieses mails.

Dankbar bin ich Ihnen schon lange. Vor ca. 25 Jahren bin ich auf Ihre Bücher gestoßen, „ Das Drama des begabten Kindes“, „ Du sollst nicht merken“ und „Am Anfang war Erziehung“. „Per Zufall“, ich glaube, ich habe diese Bücher in einer Buchhandlung gesehen.

Ich wollte schon immer die Wahrheit wissen, auch wenn sie für mich unangenehm ist. Deswegen bin ich auf Ihre Bücher gestoßen. Ich weiß nicht, wie viel ich damals von Ihren Büchern verstanden habe, aber sie waren sehr wichtig für mich.

Gestern habe ich Ihre Website durchforstet, die Leserbriefe und Ihre Reaktionen usw. Dann schaue ich mir ein Video an, auf einem Bild steht geschrieben über die Entwicklung des Gehirns in den ersten Lebensjahren.

Das war ein Knackpunkt für mich. Klar, weiß man das theoretisch sowieso, aber in dem Moment war die Information wichtig und hilfreich, denn ich konnte bewusst spüren wie sich die Gefühle von damals in meinem Gehirn festgesetzt haben und mich bis jetzt begleitet haben. Ich bin happy darüber, denn mit dieser Klarheit kann ich diese Gefühle in meinem Hirn wirklich orten und ändern. Und letztendlich haben Sie bzw. Ihr Team und die Leute die dieses Video produzieren dazu einen wichtigen Beitrag geleistet und dafür sowie für Ihre Arbeit und Ihre Bücher bin ich sehr dankbar.

Mir gefällt sehr gut, wie Sie reagieren auf z. B. die Frage, ob Sie ein Guru sind. Mir gefällt sehr gut, dass sie aus meiner Sicht ehrlich sind- wobei ehrlich gar nicht immer heissen muss, dass man recht hat, sondern authentisch ist und auch lernfähig.

Am meisten gefällt mir, dass Sie aus meiner Sicht ein Mensch geblieben sind. Das spürt man so schön aus Ihren Antworten etc. heraus, es ist ein Genuss das zu lesen.

Es ist auch ein Genuß, trotz aller Tragik, von so vielen Menschen zu lesen, die auch um die Wahrheit kämpfen und ehrlich und wahrhaftig sein wollen. Das ist auch eine Hilfe für mich.

Was mir u.a. auch geholfen hat, ist ein Buch von Alexander Markus Homes und auch die aus meiner Sicht demaskierende Auseinandersetzung mit Karin Jäckel.

Nicht zustimmenkann ich Ihnen zu Ihrer Meinung in einer Antwort zum Leserbrief „Die Lüge braucht kein Erbarmen“ vom 7. Februar 2009, in der Sie über den früheren Papst Karol Wojtyla schreiben :

„Aber dass die ersten Signale für diese Verleugnung gerade von der katholischen Kirche ausgehen werden, war nicht vorauszusehen. Auch nicht, dass die Entscheidungen von Karl Wojtyla, des aufmerksamen und einfühlsamen Beobachters dieser schrecklichen Bestialität in Polen, so schnell durch seinen deutschen Nachfolger bedenkenlos disqualifiziert sein werden.“

nun ja, an dieser Antwort, an der würge ich ein bisschen. Dass diese Verleugnung des Holocausts gerade von der Kirche betrieben wird, überrascht mich überhaupt nicht. Für mich persönlich ist das, was die katholische Kirche und die anderen Religionen treiben, tragisch, falsch und schlussendlich speziell im Fall der katholischen Kirche nur mehr skurril. Wie kann man all diesen Blödsinn glauben ? Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie man überhaupt noch irgendwen von dem Verein ernst nehmen kann, auch nicht diesen früheren Papst, und wenn er noch so salbungsvolle Worte über Versöhnung usw. in den Mund nimmt.

Für mich, und das sicher auch aus persönlicher Erfahrung, ist die katholische Kirche (aber nicht nur sie ) ein Kinderschänder- und Seelenmörderverein, der für seine künstliche Barmherzigkeit immer Arme und Schwache und Dumme braucht und das bezieht sich sowohl auf die „Geistlichen“ als auch auf die katholischen Familien, wobei es natürlich persönliche Abstufungen dabei gibt.

Das ändert aber nichts an meiner Wertschätzung für Sie und Ihre Arbeit, zumindest theoretisch wäre es ja möglich, dass dieser Papst in dem Fall wirklich ein aufmerksamer und einfühlsamer Beobachter war, wie Sie schreiben und er diese Versöhnung mit den Juden ehrlich gemeint hat (schön wär´s).

Schlussendlich möchte ich mich sehr gerne nochmals der Reihe der Dankbaren anschließen und möchte Ihnen und Ihrem Team alles Gute wünschen.
Beste Grüsse

LESERBRIEF an Peter HAFFNER

Sehr geehrter Hr. Haffner !

Bin per Zufall auf Ihren Artikel über Alice Miller aus dem Jahr 1996 gestoßen. Obwohl der Artikel schon lange zurückliegt, ist es mir ein Bedürfnis Ihnen dazu zu schreiben.

Meine erste Reaktion während des Lesens war – Lachen. Lachen deswegen weil die Wahrheit nun einmal oft etwas Einfaches ist und Sie Frau Miller u. a. Einfachheit vorwerfen. Ja, die Wahrheit, dass die Erlebnisse als Kind und Jugendlicher prägend sind, ist einfach und wird wahrscheinlich auch nur mehr von wenigen bestritten.

Weniger einfach ist es die Auswirkungen der Kindheit zu verstehen und noch weniger einfach ist es diese Auswirkungen, sofern negativ, zu bearbeiten und falls notwendig, zu bekämpfen.

Das hat sich Frau Miller sicher nicht einfach gemacht, genau diese Auswirkungen zu untersuchen und konkrete, praktisch umsetzbare Schlüsse daraus zu ziehen.

Ihre Arbeit ist meines Wissens nach eine Pionierarbeit und in ihrem Fall kann man sicher sagen, dass diese ihre Arbeit für viele Menschen eine große Unterstützung und Hilfe ist und vor allem – wahr ist.

Ich finde nicht, dass Frau Miller z. B. Kafka einfach “abhandelt” und auch nicht, dass es ihr am Beispiel Kollwitz um eine “Werkinterpretation” geht, sondern um den Menschen hinter seinem Tun.

Ich glaube auch nicht, dass sie Nitzsche “posthum verfolgt”, sondern mit großer Empathie ihn sowie andere, deren Leben bekannt ist, zu verstehen versucht.

Die Schlüsse, die sie daraus zieht, sind für mich logisch und nachvollziehbar.

Zu schreiben, dass “nicht einmal das Gegenteil von dem, was sie behauptet, richtig sein kann”, dass Kafka von ihr “auch schon abgehandelt ist” – obwohl sie 80 Seiten darauf verwendet- da widersprechen sie sich selber-, von einer “Armut ihrer Werkinterpretation” bei Frau Kollwitz – obwohl es ihr gar nicht um Werkinterpretation geht, von “Trivialbibliothek”, von “biblischer Prophetin” scheint mir in verächtlicher Weise zu geschehen.

Warum sie über Frau Miller in verächtlicher Weise schreiben, weiß ich nicht.

Ihr Schluss, von “wenn alle glauben, als Kind misshandelt worden zu sein, werden diejenigen die es wirklich wurden, erneut zum Opfer, bis zur “bitteren Wahrheit” ist für mich unverständlich. Interessant wäre zu wissen was Sie dabei “mit bitterer Wahrheit”

,auf der Sie beharren wollen, meinen.

Meiner Meinung nach ist die Arbeit von Frau Miller wichtig, sehr gut, sehr intensiv und sowohl in menschlicher als auch geistiger Hinsicht eine große Leistung.

Mit besten Grüssen
F.K.

AM: Vielleicht habe ich mir noch Illusionen gemacht, was den früheren Papst betrifft, denn es zeigt sich jetzt überaus deutlich, wie diese Maschine funktioniert, deren Teil er immerhin war. Den Artikel in der NZZ habe ich nicht gelesen, aber Ähnliches zur Genüge. Es ist tragisch, dass die einfachste Tatsache weltweit wehement geleugnet wird, dass wir fast alle bereits in den ersten Lebensjahren lernen, Gewalt gegen Kinder sei richtg und normal. Wenn man bedenkt, dass ein Kind schon im ersten Jahr die Kapazität hat, eine Sprache zu lernen, weshalb sollte es nicht auch die gefährlichen, falschen Botschaften lernen? Die sitzen dann fest in den Gehirnen der Erwachsenen und lassen sich niemals mit Argumenten beseitigen, wie die Muttersprache nicht, egal ob dieser Erwachsene später zum Professor wird, zum Journalisten oder Staatspräsidenten.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet