Ich habe die Ketten gesprengt

Ich habe die Ketten gesprengt
Thursday 11 May 2006

Sehr geehrte Frau Miller,
ich habe auf Ihrer homepage Ihren offenen Brief an Steven gelesen und er hat mich sehr berührt. in vielem hab ich mich selbst wiedererkannt, so wie sie beschreiben, daß sie sich lange zeit alleine und einsam mit ihren gedanken gefühlt haben und auf soviel wiederstand und feindseligkeit und ablehnung damit gestoßen sind. daß sie zuerst in der gruppe junger eltern und schließlich in ihrem forum endlich das gefühl von verstanden werden und nicht alleine sein hatten.
ich mache seit 6 jahren eine psychotherapie und wie schon gesagt hat mir meine therapeutin ihre bücher empfohlen. ich bin 28 jahre alt und aufgrund Ihrer bücher, aufgrund Ihres unglaublichen mutes und Ihrer kraft ist hat sich mein erst zu leben entwickelt. ich verdanke Ihnen, Frau Miller, mein leben. meine freiheit, meine gefühle. schon immer hatte ich die tendenz zu hinterfragen, ich lese mir heute gedichte, die ich als 16 jährige geschrieben hab durch, und erkenne die erkenntnis darinnen, nur dachte ich immer, daß diese erkenntnis, die die wahrheit ist, von mir nur einbildung war und diente um mich in den “mittelpunkt zu stellen”, so wie mir es eben meine eltern anerzogen haben. erst als ich kurz vorm sterben war tat ich den schritt, den ich schon immer tun wollte (aber dachte ich brauch das ja nicht weil ja in wirklichkeit “eh alles in ordnung ist”). nun hab ich vor ca. einem viertel jahr meiner therapeutin diesen brief geschrieben, den ich ihnen gern schicken möchte, weil ich ein beispiel dafür bin wie ihr wirken leben retten kann. und ich habe ja noch alles vor mir, kinder zu bekommen, eine familie gründen. und ich denke ihr wirken greift immer mehr. denn alleine ich habe zwei freunde, die ebenfalls diesen weg begonnen haben zu gehen und die in meinem altern sind.

Brief an meine therapeutin:

Liebe Frau ****,

ich habe mir drei bücher von alice miller gekauft und hab sogleich am selben tag noch mit dem „abbruch der schweigemauer“ begonnen. Ich verschlinge dieses buch wie schon ewig keins mehr. Schon nach den ersten dreißig seiten habe ich eine flut von erkenntnissen von denen ich ihnen unbedingt erzählen
möchte.

Was ich immer schon wußte hat nun eine klarheit erreicht, die mich mit freude und glück und gleichzeitig mit großer angst erfüllt. Gestern hatte ich das buch in meiner tasche und es ist wie eine freundin da. Wie jemand der da ist und mir die endgültige sicherheit oder besser gesagt klarheit gibt, daß alles was ich schon immer wußte, die wahrheit, die ich erahnte aber nicht so wirklich in worte fassen konnte, so ist. Ich verstehe jetzt noch viel mehr. Und bin überzeugter als je zuvor. Ich glaube nicht nur, ich weiß es .ich wußte auch schon vorher nur war ich mir nie ganz sicher.

Mir wurde auch Ihre Rolle so verständlich bewußt. Sie als genau diese wissende Zeugin, die mir den zugang zu meinem kind, das verstehen und vor allem ertragen auf behutsame, helfende, wissende weise ermöglicht hat. Sie wußten von anfang an und haben mich zu diesem wissen begleitet. Auch der begriff wissender zeuge, war mir auf einmal mit aller klarheit verständlich. Ein „zeuge“ ist jemand der etwas gesehen hat und anderen, die es noch nicht sehen oder nicht sehen davon berichtet. Wissen deswegen weil Sie die wahrheit kennen. Auch wurde mir meine Position in meinem leben, als, so denke ich, eben falls wissender zeuge klar bewußt. Ich wußte ich kann helfen es scheint so als hätte genau dieses buch noch gefehlt um das glaubende wissen zur gewißheit zu machen. Ich hatte gestern das gefühl was diesen punkt angeht auf einem gipfel zu sein, von dem ich über das wissen blicken kann. Damit will ich nicht sagen, daß ich keine fragen mehr hätte, denn ich werde immer fragen haben, doch diese frage die zuerst nur eine diffuses gefühl später ein gefühl, ein diffuses ahnen, später ein glaubendes wissen und nun ein wissen ist, hat nun dieses wissen um die wahrheit erreicht. Als ich allen carrs buch gelesen habe endlich nicht raucher war es dasselbe gefühl. Er weiß etwas, das wie ein schlüssel den weg frei gibt zu einem rauchfreien (also glücklicheren, trotz des leid lebbaren lebens) leben. Trotzdem stoßt er wie auch in „evas initiative“ beschrieben, wie auch ich ständig erfahre, auf aufgrund von verdrängung ablehnenden, wegweisendes, ignorantes, bis hin zu agressivem verhalten.

Diese erkenntnisse gestern waren wie ein alles verändernes erlebnis. Alles hat sich verändert in mir. Oder besser: die veränderung, die ja nicht auf einmal war, hat eine klarheit bekommen, wie ich sie zuvor nicht hatte. Mir ist bewußt geworden oder besser es wurde zum gefühl, daß ich nicht jemand bin, der besonders krank ist oder so wie ich so oft dachte, daß alle anderen menschen irgendwas können oder wissen nur ich nicht, sondern daß ich im gegenteil sehr gesund bin, und im gegenteil daß es umgekehrt ist ich etwas weiß das sehr wenig menschen wissen. Ich hatte das gefühl vorher schon so stark, das gefühl daß dieses wissen um die wahrheit auslöst, jetzt ist es noch klarer da.

Dieses gefühl erklärt auch meine suche noch besser. Ich suche nach menschen die die wahrheit auch kennen. Das weiß ich jetzt. Ich hatte gestern vorm einschlafen ein riesiges einsamkeitsgefühl. Nicht in der form wie ich es auch meiner kindheit kenne, sondern das noch klarer werden meiner suche, und wie schwierig das ist. Wieviele um diese schweigemauer nicht einmal wissen. Wieviele ihre rache, ihre wut, weiterhin an den kindern ausleben. Und angst hatte ich. Ich spürte buchstäblich wie es mir den boden unter den füßen wegzog. Wie diese erkenntnisse alles verändern.

(umso mehr wurde mir das buch wie eine große positive kraft, eben auch deswegen weil alice miller von anderen menschen erzählt, denen es ebenso geht wie mir. Dadurch weiß ich: ich bin nicht allein)

Ich habe schon vor diesem buch immer gesagt daß wenn alle menschen in therapie gehen würden, daß die welt dann besser sein würde, daß es weniger kriege geben würde. Ich hab das nur selten ausgesprochen, weil ich mir zu unsicher war und noch nicht vertrauen genug in mich selbst hatte um den angriffen, die darauf folgen könnten standzuhalten. Doch auch das kann ich jetzt noch viel klarer sehen und artikulieren. Es ist deswegen so, und das weiß ich von mir selbst so gut, daß das erlebte leid eine unglaubliche destruktive kraft auslöst, wenn man sich nicht beschäftigt mich sich selbst und der kindheit bzw. dem erlebten leid. Ich kenne intensität dieser kraft und wie mächtig sie sein kann. In meinem fall ging es „glücklicherweise“ fast nur gegen mich selbst, doch kenne ich auch den haß und die grenzenlose wut, die man einem menschen gegenüber empfinden kann, der sich als racheobjekt anbietet, weil er da ist. Doch wie zerstörerisch kann diese macht sein wenn sie destruktiv unhinterfragt gegen andere gelebt wird. Angefangen von gewalt gegen die eigenen kinder, sexueller mißbrauch, kriege, diktaturen usw. usw. gegen sich selbst gehandelt: eßstörung, sucht usw. bis hin zum selbstmord. Somit konnte ich auch dieses bis jetzt als gefühl vorhande wissen noch klarer verstehen.

Gleichzeitig spüre ich in mir auch eine ahnung, warum ich hier bin. Der sinn warum ich hier bin. Das ganze system beginnt wie so ein würfel, an dem man die einzelnen elemente verdrehen kann, sich in eine richtung zu drehen.

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nun möchte ich Ihnen noch etwas schicken, das ich gestern geschrieben habe:

“eines tages hab ich mein schweigen gebrochen
und ich habe erzählt
zuerst nur zaghaft dann
immer mehr, immer öfter
heute schreie ich es heraus!
Ihr habt mir weh getan!
Ihr habt mir so weh getan!

Nein! ich habe es mir nicht eingebildet.
Es stimmt! Alles stimmt!

Es ist wahr, daß ihr mir eine hölle erzeugt habt!
ich war in der Hölle!
Und… ja! ich bin draußen. ich bin raus aus ihr.

ich bin sehr oft traurig und mir tut es oft weh in der seele
aber Eure zerstörung kann nicht mehr wirken
denn ihr seid entlarvt!

in meinem geschriebenen kann ich lesen wie ich mich von einer ahnung bis
jetzt immer mehr befreite.
Und wie es nun von der ahnung zu einer DIREKTEN ANKLAGE wurde

Ich klage Euch an.

Ich klage Euch an für Eure
Unfähigkeit, Eure Frechheit, Eure Zerstörungswut, Euren Haß
für das, daß ihr mir meine gefühle abgesprochen habt

Ihr habt es nicht geschafft mich zu töten!
Ihr habt es nicht geschafft mich lebenslang einzuzwängen in Euer Gefängnis
und mich zu mißbrauchen für Euren schmerz, haß und destruktivität.

Denn ich hab Euch verlassen! JA ICH hab EUCH verlassen!
Ich habe die ketten gesprengt. ich habe die mauern durchbrochen

und jetzt…bin ich bei mir und beginne mich zu umarmen,
zu lieben, mich….endlich…um mich zu kümmern.

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sehr gut, finde ich auch das lied von kelly clarkson “because of you”
im text kommt z.b. vor zitat: “I will not make the same mistakes that you did I will not let myself cause my heart so much misery I will not break the way you did You fell so hard I’ve learned the hard way, to never let it get that far” und “I was so young, you should have known better, than to lean on me. You never thought of anyone else you just saw your pain. and now i cry in the middle of the night for the same damn thing.”

Mit den liebsten Grüßen
V

AM: Ja, Sie haben eindeutig die Ketten gesprengt und sich die Freiheit erobert, sich nicht mehr täuschen zu lassen, zu sehen, zu fühlen, zu verstehen, was andere so sehr fürchten. Und zum Glück haben Sie noch die Zukunft vor sich und werden von Ihren Kindern noch mehr lernen, wenn diese kommen. Ich danke Ihnen für diesen Beitrag; er zeigt doch so klar, dass es sich lohnt, die Schmerzen der eigenen Wahrheit zuzulassen, dass sie uns nicht umbringen, sondern im Gegenteil, bewusster und freier leben lassen.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet