Vom geknebelten Kind

Vom geknebelten Kind
Monday 14 July 2008

ein paar Zeilen auf den Brief vom 13.07.08.

Wer immer Sie auch sind LD…Sie haben den Mut zu such was Ihre apost. Erziehung geschnürt hat.
So konsequent wie Sie Ihr Kind geformt haben helfen Sie ihm nun zu trauern und zu weinen. Meine Eltern haben mich in einer sehr ähnlichen “Gemeinde” geformt und ich habe 10 Jahre schreiben müssen an ” Niemand”, an “Mich”,um innerlich zu überleben.Was ich ihnen nie wirklich so genau und direkt hätte sagen können weil sie noch immer “dabei” sind und mir weiterhin weh getan hätten kann Ihnen und Ihrer Tochter vielleicht helfen zu suchen wo das kleine Mädchen gefangen ist innerlich. Wenn Sie es aushalten können lesen Sie meine Zeilen und Sie werden Ihre Tochter darin finden wenn sie es Ihnen nicht selbst sagen kann weil die Angst vielleicht zu groß ist.

Du kleine Süße…
hast heute meine Hand gesucht…
bist aufgewacht mitten in einem Alptraum…
um zu sagen was du schon so oft gerne gesagt hättest…
um zu erzählen von deiner Einsamkeit…
deiner Angst…
von den Vätern und Müttern der andern…
die so anders waren als deine eigenen…

Hast mich schmerzlich fühlen lassen…
wie schön es gewesen wäre…
auch nur einen Ball aufzufangen…
den man dir zuwirft…
Hände die dich gehalten hätten…
um mit dir zu wirbeln…
Füße auf die du hättest steigen wollen…
damit du tanzen lernst…
den Tanz des Lebens…

Stattdessen haben sie dir die Schuhe weggenommen…
haben mitleidig zugesehen wie du dir die Zehen verletzt
hast…
an den Klippen deiner Neugier…
haben sorgsam Steine vor dich gewälzt…
um dir zu zeigen dass du nichts bist, nichts sein
darfst, ohne Gnade von oben…
haben dich wohlwollend verbunden…
und dir gelernt dass du bluten musst…
wenn du wachsen willst…
dass du leiden musst…
wenn du deinen eigenen Weg gehst…
dass du verenden musst wenn du nicht gehorchst…

Wo waren die Freudentränen, fragst du mich?
Wo die glucksenden Schreie der Ausgelassenheit?
Wo waren die prallen unschuldigen Küsse des Stolzes…
des Glücks, dass es dich gibt?
Ich hör dich weinen, wimmern in mir…
hör dich aus meinen Kindern herausrufen…
mit letzter Kraft…
TANZ MIT MIR…Schatz…Liebste…Mama…Papa…
Spiel mit mir…Engelchen flieg…Engelchen flieg…
Da ist kein Teufel in mir…
nichts Schwarzes und auch nichts Böses…

Eine alte Frau habt ihr zur Welt gebracht…
Ein Weib ohne Rechte und Lust.
Einen Wechselbalg habt ihr in mir gesehen…
aus dem man herausschlägt…
was nicht rein ist…

Die Kleider waren viel zu grau und unendlich zu groß…
voll Knitterfalten und muffig und tot…
Und jetzt wo ich hineingewachsen bin…
mag das Kind in mir die knallbunten Kleidchen anprobieren…
die ihr mir immer verboten habt…
die zerbersten heute fast wenn ich sie überstreife…
Das Kind in mir mag die Jeans versauen…
auf schmutzigen Böden…
die Haar im Wind fliegen lassen…
ohne Zöpfe ohne Nester und Nadeln…
mit lila Strähnen und rießigen Creolen…

Die Große die ich bin macht sich lächerlich…
weil es eigentlich nicht nachzuholen ist…
was ungezwungen damals hätte sein können…
So stimm ich wieder nicht…
wie damals…
Nur heut tu ich es bewusst für das kleine Wesen…
in mir…
das ausprobieren will…
ausprobieren muss um zu atmen, zu wachsen…
wenigstens annähernd in die Richtung…
wohin es hätte hinblühen können…

Ich habe nie gestimmt.
gestern nicht und heute nicht.
Mein Denken raubt mir die Unschuld der Neugier…
ich giere nach Leben und Lust…
in die ich nicht mehr ungezwungen tauchen kann…
jung und alt reißen in mir erbarmungslos…
die Kleine ist grell geschminkt…
und die Alte hat blonde Zöpfe und Nieten an den Schuhen…

Ich weine mit dir meine Süße…
nur ICH fühle alles was du je gefühlt hast…
nur ICH kann dich halten und wiegen…
kann versuchen dir zu geben was Kinder brauchen…
auch wenn es unendlich Kraft kostet und Phantasie…
was du wohl alles hättest haben sollen…
Ich wiege dich meine Süße hin und her…
hoffe mir fällt ein ,was dich freut…
hoffe ich finde was du brauchst…

Kein Gott hat mich geküsst…
kein Engel mir geflüstert…
kein Heiliger hat mich gelehrt…
kein Vermögen hat mir erkauft…
kein Syndikat mir verraten wie das gehen soll…
dass du erlöst wirst aus deiner Einsamkeit…
dass du deine Unschuld wiederfindest…
um loszuleben…
loszulachen…

loszulassen…

was dich beschwert…

Mögen die Kräfte die noch in mir sind…
mich führen…
egal woher sie kommen…
egal wie heilig oder unheilig sie sind…
mögen sie mich hochhalten, nicht aufzugeben, dich zu fühlen…
dich zu umarmen, bis du gesund dich verabschieden kannst…
um mit all deinen Träumen davonzufliegen…
und sie zu leben…
vielleicht in meinen Kindern…
meinen Enkeln…
und ich dir zusehen kann ohne Tränen…
ohne Eifersucht und Schmerz…

Komm zu mir Süße…
ich halte dich…
ich singe dich in den Schlaf…
bis mir morgen wieder einfällt…
was dich fröhlich macht…

Es wird alles wieder gut…
Flieg Engelchen…flieg…flieg…

B.

AM: Danke für Ihre Zeilen und Ihr starkes Gedicht. Sie haben nicht nur überlebt, Sie sind zum Leben erwacht. Wir werden gerne Ihr Gedicht publizieren.

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