Die Befeiung – endlich

Die Befeiung – endlich
Tuesday 29 September 2009

Liebe Alice Miller,

ich bin vor einer Woche 39 geworden und befinde mich seit meinem 30 Lebensjahr in einem Ablösungsprozess von meinen Eltern. Beiden habe ich Briefe geschrieben, mit beiden gesprochen, mein Vater ist inzwischen verstorben. Der Kontakt zu meiner Mutter reduziert sich seit Jahren auf 2 Postkarten pro Jahr. Mehr kann und will ich nicht ertragen, eine persönliche Kontaktaufnahme ist für mich undenkbar.

Meine Mutter lässt jedoch nicht locker und macht mir regelmäßig Kontaktangebote, z.B. sie in ihrer Stadt (ca 300 km entfernt) zu besuchen oder gemeinsam das Grab des Vaters anzusehen. Immer geht es um die Erfüllung ihres Wunsches, mich um sich zu haben.

So wie mein ganzes Leben lang. Als Einzelkind eines alkoholkranken Vaters und einer depressiven Mutter, die seitdem ich denken kann, Besitzansprüche stellt. Unendlich oft hat sie mir erzählt, dass sie sich, als ich noch ein kleines Kind war, aufs Sofa gelegt und tot gestellt hat. Ich stand dann jammernd davor, das gefiel ihr.

Ebenso hat sie die Sexualität eines Menschen als „das ist doch nichts besonderes, das kann man alles selber machen“ bis hin zu “ wenn Du schwanger wirst, setzt es eine Tracht Prügel“ abgewertet. Tatsächlich geschlagen wurde ich nach ihrer Darstellung nur einmal durch meinen Vater, als ich nicht einschlafen wollte und abwechselnd Trinken und Aufmerksamkeit verlangte. Aber das dauernde Erzälen über diese angeblich pädagogisch so wertvolle Erziehung, ebenso wie das häufige tot stellen hat in mir so viel zerbrochen.

Seit vielen Jahren bin ich Single, neige zur Workoholicerin und erst jetzt, in diesen Tagen, in denen in 39 wurde und dank Ihrer Homepage, wird mir klar, dass der Grund für mein nur teilweise gelebtes Leben meine große Angst ist. Angst davor, nicht zu genügen, bestraft und geschlagen zu werden.

Diese Angst will ich nun endlich überwinden, mich wild verlieben, tollen Sex haben und im Job mal fünfe gerade sein lassen. Meiner Mutter habe ich nun geschrieben, dass ich kein Interesse habe, sie zu treffen. Bisher habe ich immer gebangt, ob ich so etwas wohl schreiben darf und wie sie darauf reagieren könnte. Langsam wird mir klar, dass es mir egal ist, ob und wie sie reagiert, denn ich will ihr nicht mehr diese Macht über mich geben.

Ich danke Ihnen von Herzen!

Viele Grüße PB

AM: Nicht wahr, es ist eine große Erleichterung, wenn man sich von einer schädlichen Bindung befreien konnte. Es stehen einem plötzlich so viele Wege offen. Diese Freude strahlt Ihr Brief aus, und ich zweifle nicht daran, dass Sie die neugewonnenen Energien nutzen werden. Das wünsche ich Ihnen von Herzen!

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet