Schmerz und Leid
Monday 26 November 2007
Liebe Frau Miller,
In den beiden letzten Jahren habe ich Ihre Bücher gelesen. Sie haben mir die Augen geöffnet für mein verdrängtes Leid und die Verzweiflung meiner 3 Söhne. Mit meinem jüngsten Sohn habe ich mich der Vergangenheit gestellt. Wir haben gemeinsam unsere Wahrheit gesucht und auch schon zumindest teilweise gefunden auch gegen große Widerstände. Es war und ist immer noch schmerzhaft aber sehr befreiend. Ich bin überzeugt, dass wir mit Ihrer Hilfe auf dem richtigen Weg sind. Sie sind mir (59 Jahre) und meinen Söhnen (27, 25 und 20) eine gute, einfühlsame Mutter.
Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich Ihnen schreibe. Ich bin Arzt in einer Klinik, die u.a. Menschen nach Unfällen und daraus resultierenden chronischen Schmerzen behandelt. Wir beraten uns auch in klinkübergreifenden Schmerzkonferenzen mit anderen Ärzten, sind aber oft hilf- und ratlos. Trotz aller medikamentöser, physiotherapeutischer und psychologischer Intervention bleibt der Schmerz.
In den letzten Monaten ist mir zunehmend klar geworden, dass der Schmerz Ausdruck des einst real erlebten Leides, seelichen Verletzungen und Demütigungen ist, die der Patient als ohn-mächtiges Kind erdulden und verdrängen musste. Der Unfall ist praktisch der Katalysator, der den im Körper gespeicherten Emotionen (Schmerzgedächtnis) die Möglichkeit ebnet, diese mit aller Macht zu aüßern, ohne sie benennen zu müssen. Der erwachsene Patient darf endlich sein erlebtes Leid durch den allseits anerkannten Schmerz “zeigen”, aber wir Ärzte verstehen ihn nicht. Wir versuchen den Schmerz(Leid) zu tilgen ohne zu wissen, dass er uns mit diesem Schmerz eine Botschaft übermittelt, der Schmerz für ihn die einzige Möglichkeit ist, sein Leid zu klagen. Wir wollen(können) es nicht wahrnehmen und verabreichen Pillen, werden aggressiver, wenn diese nicht helfen und greifen zum Messer (z.B. Morphin-Pumpe). Welch ein Wahnsinn, welch ein Irrtum. Die chronischen Schmerzpatienten werden immer mehr, obwohl sich tausende Schmerzambulanzen um sie bemühen. Welch eine Verschwendung von Resourcen, wie viele vertane Chancen der “Heilung”. Natürlich helfen uns Psychologen, die aber von uns unterstützt werden müssen um wirkungsvoll sein zu können. Ihr Buch “Die Revolte des Körpers” hat mir für unsere Schmerz-Patienten die Augen geöffnet, hat mich sensibel werden lassen für die hinter dem Schmerz verborgenen Botschaften, für das erlittene Leid.
Liebe Frau Miller, ich glaube, dass die über 4 Millionen Schmerzpatienten in Deutschland auf Ihre Hilfe warten ohne es zu wissen. Ich glaube auch, dass viele Ärzte, die aktuell von ihrer Arbeit frustriert sind, weil sie ihre Patienten nicht verstehen und täglich ihre Ohnmacht erleben, von Ihren Erkenntnissen profitieren können. Bitte widmen Sie sich diesem Thema, da so viele Patienten und auch Ärzte an der Unfähigkeit leiden, einander “wirklich” zu verstehen.
Ich freue mich auf Ihre Antwort. Dr.P.T.
AM: Sie haben erstaunlich gut mit Hilfe meiner Schriften und vermutlich der Leserseite verstehen können, weshalb die Schmerzen Ihrer Patienten nicht weichen. Nun bitten Sie mich am Schluss Ihres Briefes, “mich diesem Thema zu widmen”, als ob ich nicht seit fast 30 Jahren genau dies (mit Erfolg) getan hätte. Es ist mir sogar gelungen, ein sinnvolles Therapiekonzept für ehemalige Opfer von Kindesmisshandlungen herauszuarbeiten, von dem viele Leser bereits profitieren. Die meisten Fachleute haben das noch nicht gemerkt, aber da Sie zu den wenigen Ausnahmen gehören, die es doch merken, so liegt es jetzt an IHNEN, etwas Sinnvolles für die leidenden Patienten zu tun. Ich weiss, teure Apparate müssen amortisiert werden, und ein Buch ist ja für viele nur ein Bündel von Papierseiten. Aber vielleicht würde doch die Klinikverwaltung erlauben, dass man mein letztes Buch “Dein gerettetes Leben” in die Zimmer der Patienten hineinlegt und schaut, was dabei herauskommt.
Manche Leser dieser Seite konnten sich sogar von schweren Leiden befreien, nachdem sie sich entschlossen haben, ihre verschollene Geschichte auszugraben. Sie wollten unbedingt wissen, weshalb sie an solchen schweren körperlichen Schmerzen leiden, sie entdeckten in sich das geschlagene, gedemütigte, verlassene Kind und dessen Zorn, den sie mit allen Mitteln Jahrzehnte hindurch zu unterdrücken versuchten. Und sie hatten den Mut, diesen berechtigten Zorn zu fühlen und ihm Worte zu geben. Zu ihrem Erstaunen und ihrer großen Erleichterung verschwanden die Symptome. Nun ist es an Ihnen, dieses Wissen zu verbreiten, doch Erfolg werden Sie nur bei Patienten erleben, die diesen Weg gehen WOLLEN. Er ist nicht leicht und nicht einfach, aber die Befreiung von bisher unbegreiflichen Symptomen ist die Belohnung für die geleistete Arbeit. Was Sie über die Rolle der Unfälle schreiben, scheint mir sehr zutreffend, und zeigt, dass Sie diese Mechanismen sehr gut verstehen. Schreiben Sie uns, was Sie zu meinem Vorschlag meinen und ob Sie noch andere Ideen haben, die Sie verwirklichen können. Ich halte in meinem Alter keine Vorträge mehr, aber Sie können das Material dieser Seite, zum Beispiel die Flugblätter benutzen, wenn Sie auf Konferenzen sprechen und etwas Licht in das Dunkel und die Verwirrung werfen möchten.