Abbruch der Schweigemauer
Thursday 22 May 2008
Hallo Frau Miller,
ich habe vor kurzen Ihr Buch: “Abbruch der Schweigemauer” gelesen. Dies wurde mir von einer Bekannten empfohlen.
Sie erkannte bei einem Gespräch mit mir an meinem Verhalten, dass ich als Kind wohl auch misshandelt wurde.
Da ich eigentlich ein sehr ehrlicher und offener Mensch bin, erzählte ich ihr davon und stimmte somit ihrer Vermutung zu.
Sie meinte, dass sie sich schon sehr lange mit der Thematik von Kindesmisshandlungen beschäftigte.
Ich erzählte ihr also, dass ich inzwischen 27 Jahre alt bin, keine Kinder habe und ledig bin.
Ich wurde als Kind sehr oft, sehr hart und auch schon von klein auf von meinem Vater geschlagen und gedemütigt. Er ist ein sehr autoritärer Mensch und beansprucht für sich die komplette Macht.
Er sagte zu mir immer, dass er als Kind von seinem Vater noch viel mehr geschlagen wurde und ich froh sein könne, dass er noch so großzügig sei.
Er konnte auch beruflich seine autoritäre Art als hoher Offizier in der ehemaligen NVA und auch später in der Bundeswehr ausleben und vertiefen.
Zu Hause behandelte er mich und meinem Bruder wie einen einfachen Soldaten von ihm. Wir wurden zu strengsten Gehorsam erzogen. Beispielsweise war es uns Kindern untersagt sich bei Tisch zu unterhalten.
Wir hatten nur Nachfrage der Eltern zu antworten.
Wir wurden auch oft aus meiner Sicht grundlos (ohne das wir überhaupt irgend etwas falsch gemacht hatten) geschlagen. Ich konnte das schon damals nicht nachvollziehen. Ich hatte sehr früh einfach nur Angst vor ihm. Mit zunehmenden Alter wurden seine Misshandlungen immer brutaler, wobei er immer weniger meinen Bruder und immer mehr mich schlug.
Dies lag daran, dass ich schon als Kind ein Gerechtigkeitsfanatiker war. Auch damals wollte ich meine Meinung durchsetzen, obwohl ich wusste, dass es dafür Schläge hageln würde.
Aber ab einem bestimmten Alter machten mir die körperlichen Schmerzen nichts mehr aus. Ich provozierte ihn sogar hin und wieder zu Schlägen, um ihm damit zu dokumentieren, dass ich stärker als er bin. Ich hatte ja im Prinzip nichts zu verlieren. Schlimmsten Falles würde er mich tot brügeln, was mir damals auch egal gewesen wäre, da das Leben zur damaligen Zeit sowieso völlig sinnlos und lebensunwürdig war.
Ich habe schon in der Pubertät erkannt, dass sein Schlagen Unrecht ist und lehnte mich dagegen auch auf.
Zunehmend fühle ich ihm gegenüber einfach nur Hass.
Meine Mutter war in meiner Kindheit ein zum Teil helfender Zeuge. Anfangs wurf sie sich bei den Schlägen noch dazwischen.
Daraufhin wurde auch sie von ihm geschlagen. Später schrie sie dann einfach nur und zunehmend passte sie sich ihm an. Wobei ich ihr das nicht Übel nehme, da sie auch einfach nur Angst vor ihm hatte. Trotzdem versuchte sie seine Misshandlungen zu kritisieren, was aber aufgrund der Stärke der Persönlichkeit meines Vaters oft im Keim erstickte.
Inzwischen sind meine Eltern geschieden und ich weiß jetzt als Erwachsener endlich was Familie überhaupt ist bzw. sein kann.
Ich habe einen sehr guten Draht zu meiner Mutter und meinen Geschwistern.
Ich konnte mich dadurch auch endlich von ihm trennen und hab seitdem (ca. 3 Jahre) keinen Kontakt mehr zu ihm.
Ich konnte schon als Kind nie verstehen, warum man seine Kinder schlägt, wenn man selbst geschlagen wurde.
Ich weiß doch selbst, was das v.a. für seelische Schmerzen mit sich bringt. Man versteht sich und die Welt nicht mehr. Hasst sich für die Schläge selbst und hasst dafür auch den Täter. Man kann danach nie wieder ein Gefühl von Liebe zu dem Täter aufbauen, weil man ständig noch die Erniedrigungen im Kopf hat.
Demzufolge schließe ich es aus, dass ich jemals meine eigenen Kinder schlagen würde, weil ich niemanden das antun möchte, was mir selbst passiert ist.
So etwas ist einfach nur schrecklich, weil man sich als Kind nicht dagegen wehren kann.
So jetzt zu meiner Frage:
Mir wurde von der Bekannten geraten, dass ich am besten mit meinen Gefühlen klar kommen würde und die Vergangenheit bewältigen könnte, wenn ich meinen Vater mit meinen Eindrücken konfrontieren würde.
Mir wurde auch prophezeit, dass es gut möglich ist, dass er in Tränen ausbricht und sich für alles entschuldigen würde.
Mein Problem ist aber einfach, dass ich diesen Menschen einfach nur hasse und es würde mir schon sehr viel Überwindung kosten, wenn ich mich mit ihm noch einmal für ein Gespräch treffen müsste.
Könnte ich ihm vielleicht auch einfach nur einen Brief schreiben und darin meine Sicht für seine “Scheißerziehung” aufzeigen?
Sie haben geschrieben, dass geschlagene Kinder oft als Erwachsene ihre Wut an andere Unschuldige weitergeben.
Denken Sie, dass ich auch davon betroffen bin. Wenn ja, wie könnte ich das vermeiden?
Danke, dass ich Ihnen das kurz mitteilen konnte.
Ich wäre Ihnen für eine kurze Antwort sehr dankbar. Mit freundlichen Grüßen, M. C.
AM: Ich denke, dass Sie schon richtig für sich sorgen können, wenn Sie sich einem solchen Gespräch nicht aussetzen wollen. Dass ein Mensch wie Ihr Vater in Tränen ausbricht, ist mE eine sehr naive Illusion. Auch Briefe von Ihnen werden ihm eine neue Möglichkeit geben, Sie zu verletzen. Doch Sie können Briefe an den kleinen Jungen, der Sie waren schreiben und ihm mit Hilfe von Fragen die Möglichkeit geben, Ihnen zu erzählen, wie er sich fühlte, als er vom Vater terrorisiert, geschlagen und gedemütigt wurde, ohne sich wehren zu dürfen. Solche Briefe werden Ihre verdrängten Emotionen zum Leben wecken und Ihnen damit die Sicherheit im Leben zurück geben, die Ihnen Ihr Vater auszuprügeln versuchte.