es arbeitet unentwegt…

es arbeitet unentwegt…
Tuesday 06 May 2008

Liebe Alice und Barbara,liebe Mitstreiter da draußen…

seit einem Monat ohne Zigaretten…
es schreit in mir und tobt und findet keinen Anlass…
was hat es genau ausgelöst…
diese Gier nach ” Inhalieren ” und “loslassen” und “frei” sein und “ganz bei mir sein”…Was ist dieses verdammte Inhalieren für ein Zaubergift…warum wurzelt es so tief in mir…diese Gier…nach kaltem Rauch und Gift…
Alles in mir möchte wieder anfangen…wirklich alles…bis auf eine Stimme,eine fast männliche Stimme, liebevoll und ruhig und bestimmt…tu es nicht…bitte nicht…wir werden sterben an dem Mist, jetzt wo wir endlich wissen was uns kaputt gemacht hat innerlich.

Stille…Schweigen…nichts antwortet mir…meine Kleine in mir nicht und die Große in mir auch nicht.
Manchmal kommt es mir vor als hätte die Erwachsene die ich bin so dermaßen die Schnauze voll von dem inneren Kind weil sie sich ohnmächtig fühlt…so unendlich ohnmächtig…wie soll sie es heilen…was nicht zu heilen ist…wie soll sie die Liebe auch nur annähernd herbeiholen die das Kind zumindest ein wenig gesunden lassen würde…die Einsamkeit ist so alt…und dauert schon so unbeschreiblich lange…
Die Große wäre zu so vielen Kompromissen bereit…ein paar Pillen hier und da…ein Schlückchen dort…und falls das zu gefährlich ist halt doch lieber bei den Zigaretten bleiben…die gibt es überall…jederzeit verfügbar…ruckzuck inhaliert und scheinbar zufriedengestellt…diese wundervolle Ersatzkrücke für…ja wofür…für Verbundenheit,Aufmerksamkeit,Geborgenheit,Verfügbarkeit,Zuverlässigkeit…
Es erschreckt mich rein vom Intellekt wie schwachsinnig es ist so zu denken…aber ich denke so nicht während ich rauche…ich meine so zu fühlen…

Und jetzt hab ich es mir weggenommen…
und das einzige was mich abhält mal eine zu rauchen ist die Gewissheit dass es nicht funktioniert mit mal einer…
und das einzige was ich hoffe ist dass aus meiner Tiefe kommen mag was auch immer dort noch ist…an Grauen oder Einsamkeit…
ich will dass es sich zeigt weil ich es nicht mehr zudecken mag mit dem tödlichen Dunst…aber je länger es dauert, und sich nicht zeigt…desto lauter schreit das innere Monster nach Rauch,nach Ruhe und Trost…

Gestern kam ich von der Arbeit heim.Müde.
Meine Kinder waren schon daheim.
Mein Partner war da, hatte gekocht und wir wollten essen.
Die Stimmung war ein bisschen gespannt…

Es gab irgendwie einen Monolog der mich lähmte…der mich wieder in die Einsamkeit fallen liess weil ich es noch immer nicht geschafft habe ihm klar zu machen wie ich das sehe mit den Kinder…

Es klang so bekannt was ich hörte und hallte in mir nach…

Du willst doch immer dass ich die Kinder für Voll nehme wie die Erwachsenen…du sagst doch immer was von Respekt…und jetzt räumt sie nicht mal den Tisch ab…ihren eigenen Teller…einen einzigen Teller…sie muss ja nicht mal den ganzen Tisch abräumen…obwohl ihr das nicht schaden würde…die hat einen Ton drauf und einen Schimpfwortfundus das ist der Hammer…das spricht nicht für einen edlen Charakter…

und in mir murmelt ganz leise eine STimme…
ja…ja…ich bin schlecht und faul und doof und sage Schimpfworte…aber du weisst gar nichts von mir…du bist nicht mal mein Papa…und du kannst meinen Papa nicht leiden…und ich vermiss ihn so sehr…und ich kann nichts dafür dass er so blöd ist…so weit weg ist…ich kann nichts dafür dass er mich gar nicht vermisst…aber ich vermisse ihn so sehr wie die ganze Welt…und du weisst gar nicht wie es mir geht nach der Schule…und die Mama kommt so spät…und Tisch abräumen ist so scheisse und vor allem wenn du es soooo sagst…die Mama sagt das viel netter…ich mach es dann auch nicht öfter…aber ich mach es lieber wenn sie mich dann mal schimpft…ich kann dich nicht leiden wenn du so bist…dabei konnt ich dich so gut leiden am Anfang…du warst so lustig und so lieb und du warst dem Papa mal so ähnlich…ein bisschen ähnlich…vor allem warst du da und hast gelacht mit uns…und warst da…einfach da und lieb…und jetzt erziehst du
rum…wie die Lehrer in der Schule…ich hasse dich wenn du so bist…ich schaff es schon irgendwann nicht mehr so schlecht gelaunt zu sein…aber ich kann es mich nicht gut verstellen…das kann ich erst wenn ich noch ein bisschen größer bin…wenn ich in der Pubertät bin…dann lern ich es bestimmt…denn sonst haust du vielleicht doch noch…und das will ich nicht…wirst schon sehen…aber es ist auch so schwierig…ich bin grade mal elf…und die Mama will nicht dass ich mich verstelle…aber wie soll dann das alles gehen…dann würd ich als erstes die Schule kaputt machen weil die sind so böse zu mir…und ich mag nicht mehr…aber ich muss…immer muss ich was…
und ich wollte dass die Mama dich heiratet…und jetzt will ich das nicht mehr weil du auch so bist…du willst mich verbiegen…du willst mich erziehen…du glaubst mir nicht wie schlecht es mir geht…du sagst der Mama ich lüge ihr was vor…du machst mich schlecht vor der Mama…ich trau dir nicht mehr…ich sags dir aber nicht weil ich Angst habe dass du mich dann gar nicht mehr magst…ich hasse dich weil du in mir nicht lesen kannst dass ich helfen will aber oft nicht kann vor Wut…
ich bin müde…
du glaubst mir ja eh nicht…
was soll das…
ich geh fernsehn…
da muss ich nicht streiten…
da hab ich ruhe und mache nichts falsch…

Verdammt ich denk jetzt zum vierten Mal dran wie ich über die Straße gehe und mir eine Schachtel hole…ich will nicht…und doch…
Es ist so hart.
Und am schlimmsten ist dass ich diesen Konflikt nicht aushalten kann.
Ich könnte ja wenn es nicht so ungesund wäre…
Dann würde ich es tun…
Aber es ist so tödlich und daher will ich es nicht..
Früher woll ich immer gerne sterben,schnell sterben vor Müdigkeit…

Diese Macht…eine Sucht…ein SUCHEN…schreit dannach…
Rauch eine…dann hälst du alles wieder aus…alles halb so wild…finde dich ab die Dinge waren schon immer so…du wirst sie nicht ändern…du wirst die Welt nicht ändern…die Menschen auch nicht…
Du musst dich damit abfinden…

ABER ICH WILL NICHT WILL NICHT WILL NICHT
Ich HABE ES SO UNENDLICH SATT MICH IMMER DAMIT ABFINDEN ZU MÜSSEN.

Kleine….Große…
ich weiss was ihr an Liebe und Ruhe brauchen würdet.
Es ist nicht das Wissen das fehlt…
Ich spüre euch und weiss um euch seit “Evas Erwachen”.
Das Problem ist das FINDEN….
Einen Partner zu finden für die Kleine und die Große in mir…und für die leiblichen drei Kinder die auch noch da sind.
Das sind fünf Kinder.
Und wenn ich mir ansehe dass jeder Partner bisher natürlich auch sein eigenes verdrängtes Kind mitbrachte sind es sechs Kinder….
Und wie bitte soll das funktionieren wenn nicht die beiden Erwachsenen wissen um Kindheit und all das wovon Alice Miller schreibt?

Ich war bisher die einzige die wusste…
ich bin der Zeuge…
die Hüterin der Schwelle meiner leiblichen Kinder…
die Wächterin des Gleichgewichts welcher Ton noch geht und welcher gar nicht…
UND ICH BIN SO UNEDNLICH OFT DAMIT VÖLLIG ÜBERFORDERT UND MÜDE DESWEGEN.

Vielleicht raucht auch der Nebel all das zu…die Wahrheit dass sich kein Partner finden lässt für so ein sensibles System wie FAmilie…
einer der nicht trampelt und erzieht…sondern fühlt und spürt und unterstützt.DER MIR HILFT:EINFACH HILFT.

Ein mutiger Mensch der den Blick nach innen nicht scheut…
der ein kleines Mädchen ertragen kann das gegen ihn aufbegehrt und ankämpft und der sich fragen kann…was hab ich falsch gemacht dass dieses kleine Wesen sich so schlecht verstanden fühlt.

Ich drucke jetzt diesen Brief auf Papier und leg ihn in die Schublade. Beim nächsten Streit mit meinem Partner diskutiere ich nicht mit ihm über innere Kinder oder Respekt…
ich leg ihm diese Zeilen hin und hoffe er sieht mehr…noch mehr als bisher…und wenn nicht kann keine Überzeugung der Welt jemanden fühlen lassen was ich fühle…
weil es nur zu fühlen ist…es ist so schwer es nur durchs DENKEN erfassen zu wollen…es geht nur durch spüren…

Das ist die wirkliche Einsamkeit…
Nicht das äusserliche, kein Waschbrettbauch…kein Status…oder was sonst auch immer…
Mein Partner ist der, der es fühlen kann so wie ich…
Und da schwindet sie noch ein wenig weiter weg…die HOFFNUNG.

Ich danke euch allen dass ich euch so schreiben konnte…mitten aus dem Alltag, aus dem ganz normalen Wahnsinn, damit ich weiterkomme und mich nicht schuldig mache an meinen Kindern die nur mich haben als Hüter und Wächter.
Und ich sage euch es ist oft so schwer und ich bin oft so furchtbar müde…so unendlich müde…und dann hab ich halt eine geraucht…und dann ging es wieder…verdammt ist das schrecklich…

Ich hol mir jetzt ein Pfefferminz und inhaliere die gute Luft. Ich glaube es geht wieder besser als vor einer Stunde.
Es ist so lebenswichtig euch alle hier zu spüren, euch zu lesen.

Liebe Alice…liebe Barbara…meine Kinder werden einen guten Teil eures Wissens an die Generation nach ihnen weitergeben…ich weiss es… fühle es, denn sie sind bereits anders als andere Kinder. Ich werde immer versuchen wachsam zu sein bei allen Symptomen die da sind wo ich ihnen weh getan habe oder es nicht besser konnte…werde es nicht verleugnen wenn sie mir zeigen wo ich sie verletzt habe…Sie werden sehen weil sie sehen dürfen!
Wie ein Schneeball fing es an mit ” Am Anfang war Erziehung “…
und hoffe es endet mit ” Wir haben es gelernt ” ” Wir wissen und fühlen es jetzt “.
Ich würd euch so gerne mal drücken. Einfach so.
Fühlt euch gedrückt.

Justmyself B.

AM: Es ist ein harter Kampf, nicht wahr, aber er lohnt sich. Vor allem, wenn man begriffen hat, weshalb. Und Sie haben sehr viel begriffen. Die Zigarette kann die starken Gefühle nicht verständlich machen, nur das Fühlen kann es. Sie haben viel Mut und haben bereits viel verstanden. Die Lösungen folgen später.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet