Das innere Kind verleugnen

Das innere Kind verleugnen
Wednesday 18 April 2007

Liebe Frau Miller,
Ihre Reaktionen auf die Leserbriefe, wo Sie sich immer wieder auf die Seite des hilflosen Kindes in uns stellen, sind eine enorme Unterstützung für mich. Ich bin jetzt neunundfünfzig Jahre alt, und vor anderthalb Jahren entdeckte ich Ihre Webseite und ich denke, das hat mich gerettet.
Vor einiger Zeit erzählte ich Ihnen meine Geschichte, und seit ich erfahren und integrieren konnte, wie Sie sich auf die Seite des kleinen, unschuldigen Kindes stellen, hat das Leben eine andere Farbe für mich, weil mein Selbsthass nicht mehr so da ist, wie vorher, und ich danke Ihnen zutiefst dafür.
Als Psychologe und missbrauchtes Kind bin ich besonders daran interessiert, Psychotherapie-Literatur zu lesen, die vorgibt, das kleine Kind, das wir einst waren und das immer noch in uns leidet, zu erforschen. In Holland, wo ich lebe, ist die Past Reality Integration – Therapie eine blühende Form der Therapie.
Ingeborg Bosch, ihr Entwickler, sagt, daß ihre Therapie auf Ihren Ideen beruht und daß ist der Grund, weshalb ich (und ich glaube viele andere) ihre Bücher kaufen und studieren.
Ich habe jedoch mehr und mehr den Eindruck, daß es in der PRI-Therapie nicht ein wirkliches und elementares auf der Seite des verletzten Kindes Sein gibt, und daß das 4. Gebot und die Angst vor der öffentlichen Moral die Gründe dafür sind.
In der PRI Literatur kann ich nicht das wirkliche Mitgefühl für das missbrauchte Kind finden und fühlen, das ich in Ihren Büchern und auf Ihrer Webseite finde.
In der niederländischen Version ihres ersten Buches “Rediscovering the true self” (auch auf Englisch veröffentlicht), schreibt Bosch mit großen Buchstaben auf Seite 220: “Es gibt kein inneres Kind.”
“Wir haben kein Kind in uns, das geheilt, geliebt oder getröstet werden kann.”
“Wenn wir uns selbst als “ich” und “das Kind in mir” betrachten, kann das anstatt zur Integration zur Desintegration führen.”
“Das innere Kind zu lieben und zu trösten, dem inneren Kind zuzuhören und es zu achten, verstärkt unsere falsche Hoffnung.”
“Wir können die Auswirkungen der Vergangenheit nur heilen, wenn wir es uns selbst zugestehen, die alten Schmerzen zu fühlen während wir uns gleichzeitig der gegenwärtigen Realität bewusst sind.”

Wie denken Sie stimmt das überein mit Ihren Ideen? Was ist der Wert einer Therapie, die das innere Kind verleugnet? Können wir heilen und gleichzeitig das innere Kind verleugnen?
Vielen Dank für die Einsichten und Die Achtung, die Sie mir gegeben haben. W.

AM: Es ist möglich, dass die meisten von uns keine Erfahrung mit der Existenz des inneren Kindes haben, weil die Angst vor ihren Eltern ihnen nicht erlaubte, seine Stimme zu hören und seine Sprache zu verstehen, noch nicht einmal in ihren körperlichen Symptomen. Schließlich schafften sie es fast, es zu töten. Doch zu behaupten, dass NIEMAND das innere Kind hören kann und dass es überhaupt NICHT EXISTIERT, das ist, als wenn man sagt, dass alle blind sein müssen, weil man mich blind gemacht hat. Diese Position ist tragisch, doch man kann sie oft finden. Aus diesem Grund wird unsere Entdeckung des gequälten Kindes, das uns Botschaften durch unseren Körper gibt (Krankheiten) und zu uns über das Leiden spricht, das es ertragen UND miterleben musste, von so vielen immer noch nicht geteilt und verstanden. Es wird von der Selbst-Beschuldigung überdeckt. Doch Sie scheinen diesen Mechanismus zu durchschauen, und sobald Sie das tun, werden Sie noch viel mehr herausfinden.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet