Revolte des Körpers

Revolte des Körpers
Tuesday 26 June 2007

Sehr geehrte Frau Miller,

ich bin 53 Jahre alt. Mit 29 Jahren brach bei mir eine manische Depression aus. Von da an begab ich mich auf den Weg zur Heilung. Ich habe jahrelang Seminare besucht und assistiert mir der Thematik „Inneres Kind“ nach John Bradshaw und basierend auf Ihren Arbeiten. In dieser Zeit habe ich auch eine Ausbildung zur Lebensberatin absolviert. Anschließend begab ich mich 5 Jahre in Analyse und habe seit 1994 keine einzige manische Phase mehr gehabt. Allerdings immer wieder depressive Verstimmungen.

Nun habe ich durch Zufall Ihre neuen Bücher „Revolte des Körpers“ und Evas Erwachen entdeckt und gelesen. Und erst dieser Tage, nach mehr als16-jähriger Beschäftigung mit meiner und dieser Thematik wurde mir bewußt, dass ich meine Eltern noch immer idealisiert hatte, ihre Taten beschönigt, glaubte verziehen zu haben und jetzt komme ich drauf, dass ich ja nicht verzeihen kann, wenn ich sie noch nicht einmal richtig beschuldigt habe.

Ich war schon ab dem ca. 4 Lebensjahr übergewichtig und obwohl ich die Mißhandlungen meiner Mutter beim Essen in der Therapie thematisiert hatte, kam es nicht so weit, dass ich mir zugestehen konnte (auch meine Therapeutin tat es nicht), dass dies die Ursache meiner gestörten Nahrungsaufnahme war. In ruhigen Zeiten und wenn ich ganz in Kontakt mit meinen Gefühlen war, konnte ich noch immer die vermeintlich liebevolle Stimme meiner Mutter hören, die mich bedrängte. Ich wußte nicht wie damit umgehen und habe es verdrängt. „So einfach darf man es sich nicht machen und den Eltern an allem die Schuld geben, was an einem nicht stimmt!“ Jetzt bemerke ich wieder die Stimme meiner Mutter beim Essen, wenn mein „Inneres Kind“ sagt, dass es genug hat. In diesen Momenten bedarf es meiner ganzen Anstrengung, der inneren Stimme meiner Mutter nicht Folge zu leisten, sondern auf den Wunsch meines inneren Kindes einzugehen.

Wie gesagt, ich möchte alles tun um dieses brave und fügsame Kind in mir zu unterstützen. Können Sie mir vielleicht einen Rat geben, wie ich mit diesem Zustand leichter umgehen könnte?

Ich würde mich sehr freuen, wenn sie mir einen Hinweis geben würden. Ich bewundere Ihre Mut und Ihre Ausdauer und danke Ihnen für Ihre Arbeit.

Mit freundlichen Grüßen, S. T.

AM: Sie schreiben: „Wie gesagt, ich möchte alles tun um dieses brave und fügsame Kind in mir zu unterstützen. Können Sie mir vielleicht einen Rat geben, wie ich mit diesem Zustand leichter umgehen könnte?“
Leider kann ich es nicht, denn ich möchte in Ihnen das rebellierende Kind unterstützen, das sich niemals wehren durfte, und nicht das brave, das Ihnen so viele Symptome beschert.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet