16 Jahre alt
Friday 14 November 2008
Sehr geehrte Frau Miller,
es ist komisch, Ihnen zu schreiben. Aber allein weil es die Möglichkeit dazu
gibt muss ich es tun!
Diese Mail wird Sie enttäuschen, weil sie keine schlauen Fragen enthält und
so.
Um ganz ehrlich zu sein: Ich schreibe Ihnen, weil ich glaube dass Sie bald
sterben. Und weil ich es unglaublich finde dass Sie existieren. Ihre Bücher
(ich lese gerade „das Drama“ und „Am Anfang war Erziehung“
gleichzeitig, durcheinander) haben eine unbeschreibliche Wirkung auf mich, die
ich ganz gerne beschreiben möchte.
Erstmal „zur Person“:
Ich bin 16 Jahre alt und derzeit stationär in der geschlossenen Station einer
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Alles was ich sagen kann, ist dass mir das was Sie schreiben bzw. geschrieben
haben enorm einleuchtet. Einerseits. Andererseits überwältigt es mich
irgendwie. Und ich kann es mir kaum vorstellen, dass hinter diesen explosiven
Worten ein Mensch steht, der real existiert und der irgendwie auf all diese
Erklärungen gekommen ist.
Sie haben derzeit den größten Einfluss auf mich. Wenn ich Sie lese, knallt es
in meinem Kopf. Einerseits finde ich es beängstigend und andererseits genial.
Aber was ich beim Lesen empfinde sind ausnahmsweise keine Gefühle, die sich so
leicht in Manie und Depression einteilen lassen, wie das mit meinem sonstigen
derzeitigen Gefühlsleben sehr leicht möglich ist. Es ist ein unbestimmbares
Gefühl, aber auf jeden Fall das Bewusstsein dass Sie die Wahrheit entdeckt
haben. Die ganz ganz große Wahrheit. Also müsste es doch möglich sein mit
Ihrer Hilfe alle Probleme der Welt zu lösen. Ist das so? Oder können Sie die
ganze Scheiße nur erklären, aber deswegen noch lange nicht beenden? Irgendwie
gehen Sie ja schon von Lösungen aus.
Bitte beachten Sie, dass ich Sie keinesfalls als Göttin oder Prophetin
betrachte. In meinem derzeitigen Zustand bin ich für keine Ideologie (mehr)
„zu haben“. Gerade deswegen wundert es mich ja so, dass ich auf Ihre
Texte „anspringe“. Und es sind eben Ihre Texte, die mich faszinieren.
Und erstmal nicht Sie, denn ich kenne Sie nicht. Aber Sie haben das geschrieben,
was mich so fasziniert. Das ist … faszinierend. Und die Idee, allein der
Gedanke daran dass es theoretisch möglich ist mit Ihnen zu kommunizieren ist
unfassbar.
Und besonders: Dass Ihr Wort weder ein Trip ist den ich einschmeiße noch etwas
ist was sich mir aufdrängt, sondern wohl einfach die Wahrheit, die man einfach
erfährt. Etwas was einfach passiert. Und wahr ist.
Schade (aber nachvollziehbar) dass Sie Ihre Praxis vor ein paar Jahrzehnten
geschlossen haben.
Sonst würde ich mein Taschengeld sparen um Ihre Hilfe zu bekommen. Oder um Sie
einfach mal zu treffen, zu begreifen dass Sie existieren, hinter diesen
faszinierenden Worten.
AM: Danke für Ihr Schreiben. Ich habe schon sehr viele Briefe bekommen, aber noch nie von einem 16 jährigen Menschen, der sich so klar ausdrücken kann. Sie schreiben nicht, weshalb Sie in der Klinik sind, aber ich hoffe, dass Sie sich dort Ihre Klarheit bewahren können. Das wünsche ich Ihnen von Herzen.