Ausbeutung

Ausbeutung
Sunday 14 February 2010

Liebe Frau Miller,

ich möchte mich hier einmal auf einen anderen Leserbrief beziehen, und zwar auf den Brief von KL vom 28.01.2010, “Der Herrschenden Interesse an Unmündigkeit”.
Das ist keine neu entwickelte Theorie, und schon mal gar keine paranoide Idee, sondern das Erkennen einer gut verschleierten Tatsache und seiner Hintergründe.
Es zieht sich durch sämtliche Lebensbereiche der “kultivierten” Gesellschaft. In allen Bereichen und Systemen, die auf Hierarchien aufgebaut sind, egal ob Staat, Wirtschaft, Kirche, Vereine, ja selbst Familien, ist dieses Spiel von Macht und Ohn(e)macht das Fundament auf dem die “Machthaber” stehen.
Macht ist etwas fiktives, das jemand nur dann besitzt, wenn er es sich nimmt, oder es ihm gegeben wird. Selbständige, autonome und glückliche Menschen, die mit sich selbst im Frieden leben, sind nicht manipulierbar und lassen sich gängeln, geben keine Macht über sich ab und dienen nicht dem Wohl Anderer, sondern ihrem eigenen. Wenn wir also alle glücklich, zufrieden und selbstverantwortlich leben, woher sollen dann die “Mächtigen” ihre Macht beziehen? Es ist für den Fortbestand des derzeitigen Systems unerlässlich, ängstliche, unselbständige, fügsame und gehorsame “Untertanen” heranzuziehen.
Wie zieht man nun solche manipulierbaren, ausbeutbaren und gehorsamen Untertanen heran?
1. Man hält sie unwissend. Das haben uns die Kirchen Jahrhunderte lang vorgemacht, indem sie das Wissen der Schriften dem Volk vorenthielten und nur wenigen vorsichtig Auserwählten zugänglich gemacht haben. Es werden auch heute noch Schriften hinter Kirchenmauern unter Verschluß gehalten, deren Inhalt die Wahrheit den Menschen näher bringt, und der Vormachtstellung der Kirchen das Fundament entziehen würde. (letzteres geschieht heute glücklicherweise zunehmend, da immer mehr Wahrheiten ans Licht kommen, und das meiste Wissen heute immer mehr Menschen zugänglich ist, wenn sie es wollen)

2. Man macht ihnen Angst. Unwissenheit macht Angst, die Aussicht auf Schmerzen, auf den Verlust geliebter Menschen oder Dinge, auf mangelnde Anerkennung seiner Mitmenschen und vor allem die Drohung mit Vernichtung und Aussicht auf die “Hölle” machen Angst.( Diese Methoden des Bedrohens und Bestrafens werden leider auch heute noch vielfach in der Kinder-“Erziehung” angewendet.) Aus lauter Angst vor all diesen Dingen, fragt der Unwissende und Ängstliche den “Wissenden” um Rat und Verhaltensregeln, und begibt sich in seine Abhängigkeit. Er gibt seine Macht, seine Fähigkeit selbständig zu denken und zu handeln ab.
3. Man macht sie unzufrieden und unglücklich und hält sie im Mangel-Bewusstsein. Man redet ihnen ein, dass sie erst noch dies und das brauchen, dies und das tun müssen, dies und das denken müssen, um ein guter und wertvoller Mensch zu sein. – Die Werbebranche beherrscht dieses Spiel ganz ausgezeichnet. Aber auch in der Kinder – “Erziehung” wird mit diesen Mitteln gearbeitet, sei es zu Hause, oder in Schule und Kindergarten. “Erst wenn du dieses oder jenes geleistet hast, wenn du diesen oder jenen Anforderungen entsprichst, bist du ein gutes Kind, ansonsten ein schlechtes.
Ich könnte jetzt noch eine Unmenge von Beispielen bringen, dieses Spiel zieht sich durch sämtliche Lebensbereiche. Überall, wo mit Strafen, Drohungen, Angst, Demütigungen und Herabsetzungen gearbeitet wird, sind Manipulation und Machtmißbrauch im Spiel. Überall, wo es Hierarchien gibt, wo sich ein Mensch für etwas besseres hält als jemand anderes, wird nach diesen Spielregeln gespielt.
Umsomehr freut es mich, dass es Menschen wie KL gibt, die auch von ganz alleine hinter diese Fassaden blicken, die die Spielregeln erkennen, und somit zurückfinden zu selbständigem Denken und Handeln, sich damit die Macht über sich und ihr Leben wieder zurückholen. Meistens gehört dazu eine Menge Mut, zu sagen: “Ich steige aus aus diesem Spiel!” Schließlich wurde uns dafür ja die “Hölle” prophezeit. Aber wer diesen Schritt gewagt hat, wird den wahren Frieden finden, den mit sich selbst. Und dann ist man auch nicht schlecht oder falsch, denn wer mit sich selbst im Frieden lebt, kommt gar nicht auf die Idee, anderen den Krieg zu erklären. Und wer seinen eigenen inneren guten Kern entdeckt und liebt und zu sich steht, der kann auch seine Kinder lieben, der braucht sie nicht zu “erziehen” in irgendeine Richtung, die von außen vorgegeben wird, sondern derjenige kann ihnen den geschützten und behüteten Rahmen und Freiraum geben, den Kinder brauchen, um sich entwickeln und entfalten zu können, den sie brauchen um zu gesunden, stabilen, selbstsicheren und friedvollen Persönlichkeiten heranzuwachsen.
Diejenigen sind dann nicht mehr “Erzieher”, Manipulator und Formgeber für irgendeine Norm, in die die Kinder mal passen sollen, sondern sie sind ihren Kindern dann Ernährer, Beschützer und Lehrer, die wohlwollend und liebevoll auf die Entwicklung der Kinder schauen, anstatt sie seelisch zu verstümmeln, damit sie anderen Diener und Machtgeber sind, und ihrerseits wieder so viel Leid und Schmerz in diese Welt bringen.

Vielleicht ist es noch ein langer Weg, bis diese Denkweise sich so weit ausbreitet, wie die bisherige. Aber ich stelle mit Vergnügen fest, dass es immer mehr Menschen gibt, die sich trauen, diesen Weg zu gehen und auch öffentlich dazu zu stehen.

Viele liebe Grüße
KH

AM: Ihre Analyse der hierarchischen Systeme halte ich an sich für korrekt. Ich möchte nur hinzufügen, dass die Fügsamkeit der Erwachsenen nicht so selbstverständlich und nicht so leicht zu bekommen wäre, wenn unser Gehirn nicht in der Kindheit von Anfang an hätte lernen müssen, den Missbrauch als ganz normal zu erleben. DAHER ist der Erwachsene später unfähig, die Wahrheit zu erkennen und sich gegen die Ausbeutung zu wehren.

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