Gehirnwäsche

Gehirnwäsche
Tuesday 05 February 2008

Liebe Alice Miller,
Sie haben bereits mehrere meiner Leserbriefe beantwortet und veröffentlicht, u.a. „(M) eine wahre Geschichte“ (10.Nov. 2007) und „Brief an meinen Vater“ (10.Dez. 2007), was mich sehr bestärkt hat und auch noch weitere mich stützende Reaktionen im Internet ausgelöst hat.
Ich hatte eine Horrorkindheit – alle drei Formen von Kindesmisshandlung, Täter waren vor allem meine Eltern und Brüder aber auch Großeltern.
Momentan beschäftige ich mich mit den Mechanismen, die diese Gewalt ermöglicht haben. Es ist nicht übertrieben, von einer Gehirnwäsche zu sprechen. Und da ich dieser Gehirnwäsche von Anfang an unterzogen wurde, hat sich ihre vergiftende Wirkung mit der Zeit sozusagen auch noch tief in meine Zellen hineingesetzt. Einige dieser destruktiven Programmierungen habe ich schon als Kind durchschaut, einige später, und die ganz fiesen kommen erst jetzt zutage. Sie sind so zerstörerisch, dass ich es kaum glauben kann. Aber ich spüre, dass es wahr ist.
Meine Eltern haben mir weisgemacht,
– dass Liebe und Gewalt zusammengehören
– dass ich nichts wert sei
– dass meine Meinung nicht zähle
– dass meine Eltern am besten wüssten, was gut für mich sei
– dass Widerstand zwecklos sei
– dass ich immer dankbar sein müsse, dankbar, dass ich überhaupt existieren darf
– dass es kein Entkommen gäbe
– dass ich mich zu fügen hätte
– dass ich das Prügel- und Fickmädchen zu sein hätte
– dass ich nicht das Recht hätte, mich zu entfalten
– dass die Welt draußen gefährlich und kalt sei und dass ich in der Familie sicher und geborgen sei
– dass meine Wut unerwünscht sei
– dass ich nicht fähig sei für mich zu sorgen
– dass ich nicht in Ordnung sei
– dass ich schlecht und böse sei
– dass ich prinzipiell an allem schuld sei
Es tut so gut, diese destruktiven Programmierungen im Konjunktiv zu formulieren, denn es sind durchweg Lügen. Allein diese Lügen zu durchschauen ist kolossal erleichternd!
Denn von diesen Lügen innerlich geleitet zu werden bedeutet mit angezogener Handbremse durchs Leben zu fahren. Ich will die Lügen ausmerzen, damit die dahinterliegende Wahrheit – nämlich genau das Gegenteil – wieder leuchten kann, dass sie mir den Weg in ein freies, unbeschwertes und glückliches Leben leuchten kann.
Liebe Frauen Miller und Rogers, vielen Dank für Ihre wertvolle und wichtige Arbeit, die mich immer wieder auf meinem Weg bestärkt. K. B.
P.S.: Auf meiner Internetseite www.myspace.com/ichsags gibt es diverse Briefe an meine Familie in gesprochener und schriftlicher Form. Und zwei Lieder. Ich hoffe, dass sie anregend und hilfreich für andere Menschen sein können.

AM: Jeder Satz hier ist wahr; gut dass Sie das aufgeschrieben haben; es gilt für so viele Menschen und wird verschwiegen, überall. Danke für diesen Text, er kann vielen helfen, die bereits nahe an ihrer Wahrheit sind und noch etwas mehr Mut brauchen, um ihre Wahrheit zu sehen, sich nichts mehr vorzumachen und ihr Leben zu schützen. Denn (wie Sie schreiben), von diesen Lügen innerlich geleitet zu werden bedeutet mit angezogener Handbremse durchs Leben zu fahren.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet