Endlich fühlen können

Endlich fühlen können
Friday 06 November 2009

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Liebe Frau Miller,
ich habe mir gerade den text „das ungeheuer“ durchgelesen.

ich bin jetzt sehr traurig.

ich kann der autorin/dem autor nur in jedem punkt recht geben.

ich bin tief beeindruckt von so einer klaren sichtweise. der autor ist weit zurückgegangen, bis in seine früheste kindheit und hat dort entdeckt, wonach er möglicherweise lange gesucht hat.

das gelingt nicht vielen menschen.

so weit zurückzugehen. so klar, so deutlich zu sehen. ohne zweifel zu sehen.

daß die wut gelebt werden MUSS, weil sie nichts böses ist. daß es keine guten und keien schlechten gefühle gibt. daß gefühle nur dann destruktiv gelebt werden müssen wenn sie VERDRÄNGT WERDEN MÜSSEN und dann in geschwüren wieder kommen. (krankheiten, ausagieren an schwächeren, süchten)

daß einem kind die existenzberechtigung aberkannt wird, wenn man ihm teile seiner selbst verbietet. denn somit tötet man das kind. denn es wird verbogen, beschnitten geformt bis nichts mehr von ihm überbleibt. später ist es eine art zombie. es hat gelernt was es zu lachen hat, wann zu weinen (in ganz speziellen situationen ist das ja „erlaubt“ z.b. bei begräbnissen) wann es wie regaieren darf/muß/soll.
aber es SELBST ist nicht mehr da.

ich kenne ein paar menschen in meiner umgebung, die verstanden haben, daß sie sich selbst verloren haben, weil sie von ihren eltern verstümmelt worden sind. das empfinde ich als geschenk, als glück, als unfaßbar eigetnlich.

aber ich kenne soviel mehr die als schatten/als zombies herumgeistern. leblos. lebendig tot.

und das macht mich so traurig.

denn es ist so schwer in dieser welt ein kind großzuziehen fernab jeglicher destruktivität. die umwelt VERLANGT z.b. daß ein kind möglichst schnell zum schweigen gebracht wird, wenn es weint. diesem druck muß man als mutter standhalten. man muß seinen weg gehen trotz des drucks, trotz der anfeindungen gehen.

und dann hab ich den traum, auf einer insel zu wohnen. wo menschen sind, die keine angst vor wut und traurigkeit haben. wo kinder aufwachsen können ohne beschnitten zu werden. oder in einem häuserblock.

so eine welt, in der kinder aufwachsen dürfen ohne getötet zu werden, sie wäre so anders als die gegenwärtige. ALLES wäre anders.

Ihre Bücher, frau miller, haben es möglich gemacht, daß ich so schreibe:

2007

ich sehne mich nach freiheit
nach einem stück atemluft
unter all den schmerzen

alleine sitze ich in der ecke
heute wie damals
verraten und verspottet
heute kann ich aufstehen
aufstehen und weggehen
doch es drückt so
und ich kann ihm so schwer entkommen
überall wo ich hingehe ist es schon da
dann bleib ich doch wieder in meiner ecke
dort kenn ich mich schon aus
dort ist keine angst-
„nur“ die alte depression
die ganze welt erscheint mir wie ein feindliches monster
überall lauern gefahren
sogar die einfachsten handlungen
sind anstrengend
überall ist sie-die angst
sitzt in ecken
sitzt in menschen

überall sitzt sie die demütigung, die scham und der verrat
überall lauern monster
innerlich zittere ich bei jedem satz, bei jeder frage,
zu tief sitzen die schläge

ich gehe, ich gehe weg von euch
ich gehe weg von euren schlägen, weg von eurem verrat
ich hasse euch und werde euch nie verzeihen
das fühlt sich gut an
ich möchte euch schmoren sehen in der hölle
ihr habt euch mit der falschen angelegt

ihr werde mich nicht töten

2006
es ist mein geburtstag
wer wollte denn, daß ich hier bin?
Niemand hat mich empfangen
Niemand hat mich erwartet

Die pflichterfüllung ist keine liebe!
Die blumen stehen da still und emotionslos
Sie würden auch noch 100 jahre so stehen
Aber sie füllen mein leben nicht
Sie schenken mri keine liebe
Mein herz krümmt sich vor schmerzen
Nie waren sie da..
Ich bin hierher geboren worden
Und war allein
In meinem finsteren kerker der einsamkeit
Hineingestossen und verbannt
Ein kleines bißchen liebe…nur für mich… bitte, bitte
Wie ich hab gefleht, wie hab ich gelitten
Bitter berühr mich, bitte liebe mich. Ich brauch euch doch so

Wer will denn daß ich hier bin?
Warum bin ich hier?

Nie empfangen nie erwartet

Ich seh mich selbst als kind voll neugier, voll abenteuerlust, voll sehnsucht
….zertrümmert, zerschmettert
und niemand da, der geholfen hätte

ein kleines bißchen …liebe….nur für mich
nie

V

AM: Ja, Traurigkeit und Wut sind schmerzhaft, aber sind wegweisend und nicht gefährlich. Hingegen sind Drogen, die diese echten Gefühle dämpfen oder gar vernichten wollen, nicht selten schädlich. Eine besonders ausgeklügelte Mischung (Cocktail genannt) wird heute den Jugendlichen angeboten, damit sie die einst erlittenen Demütigungen nicht zu erinnern brauchen und keine Revolte dagegen verspüren. Den Preis für diese Gefühlsunterdrückung werden später die eigenen Kinder bezahlen.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet