Der Wiederholung entkommen
Friday 05 June 2009
Liebe Alice Miller,
immer war es die Frage wie und wo fange ich an, in Gedanken habe ich schon oft begonnen Ihnen zu schreiben.
Schon zu Zeiten wo es noch per Post an den Verlag gegangen wäre.
Vor allem Danke ich Ihnen von ganzem Herzen.
Ohne Ihren Mut und Ihr Durchhaltevermögen und ohne Ihre Bücher in denen Sie Ihr so wertvolles Wissen und Ihren
immensen Erfahrungsschatz veröffentlicht haben, wäre ich nicht mehr am Leben.
So kann ich mit großer Sicherheit sagen.
Meine Kindheit war geprägt von seelischem und körperlichen Missbrauch durch meine Eltern und meiner einzigen Schwester,
die knapp ein Jahr älter ist.
Ich erinnere mich noch wie ich mich knapp zweijährig auf den Fenstersims begab um aus dem zweiten Stock zu springen.
Ich wollte zurück zum lieben Gott.
Ich erinnere mich noch an die Sehnsucht nach Ruhe und Frieden. Nun, ich wurde gesehen und das Fenster wurde zugenagelt.
Ich erinnere mich wie ich fünfjährig im Wohnzimmer meiner Eltern stand und plötzlich die glasklare Einsicht hatte dass ich ja ALLES
aushalten kann, denn wenn ich es nicht mehr aushalten kann, dann sterbe ich und dann ist es ja eh gut.
Dann ging ich in die Küche zum Vater, der mich zu sich zitiert hatte um mich zu schlagen.
Im Alter von ungefähr 28 ( heute bin ich 47), ich hatte davor schon verschiedene Gesprächstherapien und spirituelle Therapieerfahrungen hinter mir,
kamen panikartige Angstzustände über mich, und ich erinnerte mich im Gespräch mit einer Freundin, die ich damals erst kurz kannte, an Das Drama
des begabten Kines, in das ich mit 17 Jahren zum ersten mal einen Blick warf, doch dann wieder weglegte.
Diese Freundin hatte bereits Bücher von Ihnen gelesen und wir sprachen über Ihre Arbeit und über die möglichen Erlebnisse meiner Kindheit,
die meine Ängste ausgelöst haben.
Ich arbeitete damals im Kleinunternehmen meiner Schwester und konnte von heute auf morgen dort nicht mehr hin.
Meine Freundin half mir das durchzustehen, vor allem die als wohlmeinend getarnten Attacken meiner Schwester zu entlarven.
Und so kam meine Erinnerung wieder und ich wagte es hinzusehen, zu fühlen und zu entkoppeln….
Einen Sommer lang, die Lektür ihrer Bücher, die Gespräche mit meiner Freundin, die dann zu mir zog
und mich ein paar Monate finanziell mitversorgte.
Die Ängste schwanden , sie waren nicht mehr diffus. Ich verstand sie, kapierte, dass ich allen Grund dazu hatte und hatte einen Zeugen,
der mir Recht gab mit dem was ich fühlte. Und ich merkte mit den Jahren was für ein enorm starkes Kind ich war und bin stolz auf mich.
Seit Jahren habe ich keinen Kontakt mehr mit meinen Tätern.
Einmal war ich versucht, in der Zeit als ich mich dem Familienstellen zuwandte und diese spirituelle Abspaltung eine ganze Zeit lang nicht erkannte:
Mit Liebe auf die Eltern zu blicken…
zu verstehen wie alles seit Generationen weitergegeben wird…..
mich vor den Eltern verneigend für mein Leben zu bedanken……
für die Eltern, die ja nur so waren, weil sie auch so viel entbehrten….ungefühltes fühlen für diie Eltern!..
die „Verheißung“ die Eltern retten zu können, die ja nur so waren weil es Ihnen selber an so vielem mangelte….
Es hat einen Weile gedauert bis ich es kapierte, heute könnte ich, verzeihen Sie den Ausdruck, kotzen, wenn ich das so eben geschriebene lese.
Eine Weile dachte ich, ich könne das innere Kind mit aufstellen, ich tat es selbst und regte es auch mal bei anderen an.
Meins versteckte sich hinter mir und hatte total Angst, und die anderen beiden male, als ich es bei anderen erlebte,
da lagen die Stellvertreter der innerne Kinder der aufstellenden Personen fast wie tot am Boden.
Ich habe mich lange getäuscht und das Aufstellen eine Zeit lang als hilfreich empfunden, vor allem das, was die „unterbrochene Hinbewegung“
genannt wird, hatte ich falsch verstanden.
Ich habe vor lauter dass ich ja mit Liebe blicken soll nicht gemerkt, dass ich mich ja überhaupt nicht mehr hinbewegen will zu meinen Eltern.
Und dass das in Ordnung ist.
Auch wenn einem subtil beim Aufstellen vermittelt wird dass man erst sich selber leben kann wenn man seine Eltern annehmen kann……
es ist eine große Lüge von den Menschen, die sich selbst nicht getraut haben ihre Eltern in Frage zu stellen und zu fühlen was sie als ausgelieferte Kinder gefühlt haben,
geschweige denn, den Zorn darüber, dass die Eltern so mit Ihnen umgegangen sind. So werden auch sie zu Tätern am KInd.
Was für ein Kreislauf!
Bin ich froh, dass ich das durchschaut habe.
Gerade an dieser Stelle nocheinmal herzlichen Dank für Ihre Arbeit, die mir so half klar zu blicken in diesem Nebel der so perfekt abgespaltenen Gefühle.
Heute lebe ich zusammen mit meiner Lebensgefährtin in einem schönen bayrischen Dorf und helfe in ihrer Naturheilpraxis ( Büro, Organisation),
die mit in unserem Haus ist.
Die Freundin, die schon vor 20 Jahren mein wissender Zeuge war, hat seit kurzem auch ein Arbeitszimmer hier und macht „Psychologische Beratung“,
im Grunde ist sie Zeuge für die Kinder der zu ihr kommenden Menschen.
Ich weiß, dass ich angeregt durch Ihre Arbeit und der Hilfe meiner Freundin diesen Weg der bedingungslosen Treue zum Kind gehen konnte
und im Grunde täglich gehe,
dass ich heute mit manchmal frohen kindlichen Augen durch den Garten gehe und mich über den ersten Kohlrabi freue,
ihn herzhaft geniesse und wenn ich mich, wie gestern, an das Gefühl erinnere, wie der heimliche geklaute Kohlrabi aus Omas Garten manchmal das einzige zum Essen war,
dann kann ich es sehen wie es war und wie schlimm es war , und vor allem kann ich sehen und fühlen
dass es jetzt nicht mehr so ist und den Kohlrabi geniessen.
Und dass ich das kann, dafür danke ich Ihnen nocheinmal von ganzem Herzen für Ihren unermeßlichen Einsatz für all die Kinder.
Ich wünsche Ihnen viele kleine Freuden in ihrem Leben,
und ich weiß zwar nicht ob und wie, doch wenn ich irgendetwas für Sie tun kann, würde ich das, als Ausdruck meiner Dankbarkeit sehr gerne tun.
Mit tiefem Respekt, Ihre GL
AM: Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer gründlichen Arbeit und Ihrem Erfolg. Sie haben sich nicht täuschen lassen und konnten sich schliesslich von den üblichen irreführenden Meinungen befreien, auch wenn diese im Gewand der angeblich modernen „Therapie“ angeboten wurden. Was Sie an Ihrem eigenen Leben gelernt haben, wird Sie sicherer leiten als irgendwelche geschickte Manipulationen, die in Ihren Ohren zuerst so bekannt klangen, weil Sie vermutlich schon als Kind lernen mussten, in solchen Unwahrheiten Ihre Rettung zu suchen.