Die “ABER”-Frage

Die “ABER”-Frage
Tuesday 25 November 2008

Hallo, liebe Frau Miller,
ich kann auf Ihrer Internetseite keine FAQ- Liste entdecken, die Sie in Ihren
Büchern immer wieder erwähnen. Können Sie mir bitte mitteilen, wie ich an
diese Liste komme? Meine Geschichte ist vielleicht nicht so interessant,
trotzdem will ich es kurz erzählen. Ich (46, verh. 2 Kinder)hatte in 2006 aus
scheinbarer vollkommener Gesundheit einen Hörsturz, dabei/danach einen
psychischen „Absturz“, habe mich dann notgedrungen mit mir beschäftigen
müssen, wollte unbedingt gesund werden. War aber in einer ziemlich heftigen
Depression gefangen, merkte es teilweise auch und konnte mich immer wieder ein
bisschen stabilisieren. Dann entschloss ich mich 2008 zu einer psychosomatischen
Reha und dort hatte ich das Schlüsselerlebnis: bei einer Feldenkraislektion(
allein auf meinem Zimmer), die sich mit der Vorstellung beschäftigt, an einer
Mutterbrust zu saugen, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich vermisse die
Mutterliebe, habe das immer schon getan und immer vor mir selbst geleugnet. Im
gleichen Atemzug sah ich, dass ich mich selbst nicht liebe, das wohl niemals
getan habe. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Blitz! Ich schrieb sofort ein
Gedicht und einen Brief an meine Mutter(den sie nie lesen wird, weil sie
halbseitig gelähmt und hirnorganisch krank ist)d, in dem ich alle Empörung und
alle Wut raus ließ, aber am Ende auch ihr Verhalten entschuldigte(auch sie tat
das, was sie „gelernt“ hatte). Danach fühlte ich mich wie neugeboren. Ich
konnte das damals noch nicht zuordnen, fand dort aber zufällig ein Buch von
Chopich/Paul “Aussöhnung mit dem inneren Kind und adoptierte das meine
sofort! In den nächsten Monaten hatte ich wegen der
Verstrickungen(Übertragung/Gegenübertragung)mit der dortigen Therapeutin das
GLÜCK, eine so tiefe Trauer, so viel Schmerz zu erleben, dass ich dachte, das
nimmt nie ein Ende. Aber dank meines wiedergefundenen Kindes konnte ich mit
diesem zusammen so tief trauern, wie ich es noch nie erlebt hatte! Ich trauerte
natürlich um mich, um das Kind, das ich einmal war, um all die Schläge,
Verspottungen, Nichtbeachtungen……an die ich mich nicht erinnern kann, von
denen ich aber ganz sicher weiß. Und ich versuchte, die Verstrickungen mit der
Therapeutin zu „lösen“, denn mir war einerseits völlig bewusst, dass die
Trauer nicht ihr(dem Verlust ihrer menschlichen Wärme) galt, sondern meinem
eigenen Kinderschicksaal, aber andererseits kamen meine Gefühle da nicht mit.
Sie sehnten sich immer nach IHR. Und dann fand ich im September in einem
Antiquariat das „Drama des begabten Kindes“. Dann war mir alles klar, was
geschehen war. Und ich bin so erstaunt, dass ich das alles ohne Hilfe so erleben
durfte(oder trotz, denn ich gehe wöchentlich zu Psychotherapie, wo wir aber
weder über das innere Kind reden, noch ich immer Zustimmung fand mit meinem
Tun)). Ich bin so erstaunt, so froh, aber ich denke, etwas fehlt noch. Und ich
habe diesbezüglich ein konkrete Frage an Sie, die ich so noch nicht beantwortet
fand: Sie schreiben immer weindringlich, dass man die Empörung und den Schmerz,
die Wut… spüren soll, dass dies berechtigt ist(Eltern,
Erziehern..gegenüber). Keine Frage, das ist es und man kann es spüren. Nun das
Aber. Eltern haben oft nicht nur Schlechtes getan, auch wenn sie die Entwicklung
ihres Kindes so stark schädigten, dass es den Rest seines Lebens daran leiden
wird. „Normale“ Eltern haben auch Liebe gegeben, Berührungen,
Zärtlichkeiten, Wärme…vieles mehr. Nur eben nicht immer! Aber trotzdem ist
in meinem Herzen auch noch ein kleines Stück Liebe, Verzeihung? Können nicht
beide Gefühle, die Liebe und der Hass nebeneinander bestehen? Schließen sich
beide aus? Hass ist doch verwandelte Liebe, oder?

AM: Das kleine Kind hat sich bei Ihnen in wunderbarer Weise durchgesetzt. Zu Ihrer ABER-Frage lesen Sie am besten das Buch Die Revolte des Körpers und das neue Nachwort zu Wege des Lebens. Die FAQ Liste finden Sie zuoberst auf der Seite “Artikel”.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet