Anfrage bezüglich Buch

Anfrage bezüglich Buch
Tuesday 01 January 2008

Verehrte Frau Miller !
Meine Gattin und ich haben in den letzten Jahren einige ihrer Bücher gelesen, und waren davon sehr begeistert. Erst zu Weihnachten haben wir uns „Dein gerettetes Leben“ geschenkt und auch schon gelesen. In gewisser Weise haben wir es als Quintessenz ihrer bisherigen Publikationen verstanden. Vielen Dank dafür !

Wir haben Ihre Bücher nicht bloß aus Interesse gelesen, sondern aus einer tiefen Betroffenheit heraus. Unser ältester Sohn leidet nämlich an Angst- und Panikattacken, kombiniert mit einer massiven Sozialphobie, sodass ihm ein „normales“ Leben zur Zeit unmöglich ist, weil er sich um mich (Vater!) sehr große Sorgen macht, es könnte mir etwas zustoßen,, sodaß er mich förmlich bewachen muß. Er war auch schon längere Zeit in Gesprächstherapie (nach Rogers) und in Verhaltenstherapie (in Berlin), jedoch ohne wirklich spürbaren Erfolg.
Bei der Lektüre ihrer Bücher bin ich (Vater) drauf gekommen, daß ich wahrscheinlich „Schuld“ habe, da ich meinen Sohn in der Kindheit einige Male (wirklich nicht oft, jedoch zu oft !!) geschlagen habe. Ich selbst wurde als Kind auch öfters geschlagen, was ich aber bisher bewußt nie als besonders belastend empfand. Wie Sie eben schreiben, fühlt sich mein Sohn für meine in meiner Kindheit erlebten Demütigungen schuldig, weil er sehr sensibel ist. Er hat vor drei Jahren ein Buch geschrieben, das stark autobiographische Züge trägt. Im letzten Jahr ist es ihm gelungen einige Artikel in Zeitschriften zu veröffentlichen, der letzte bezeichnender Weise mit dem Titel: „Die Schuld ist schuld“.
Ich würde Sie daher gern um einen therapeutischen Rat fragen, da wir (die ganze Familie) manchmal ziemlich verzweifelt sind, bezehungsweise möchte ich konkreter wissen, was ich tun könnte, um meine „Schuld“ abzutragen ???
Ich möchte an Sie auch noch von meinem Beruf als Lehrer eine Fage stellen, nämlich was macht man mit (gegen ?) Schülern, die aus einem problematischen Elternhaus kommen, wenn sie ihre aufgestaute Wut an Mitschülern auslassen ?? Wie begegne ich solchen Schülern richtig oder wie werde ich ein „helfender Zeuge“ für solche Schüler ?

Sehr geschätzte Frau Dr. Miller, ich möchte Ihnen ganz persönlich viel Gesundheit und Freude im Neuen Jahr, aber auch weiterhin sehr viel Erfolg für Ihre so wichtigen Aussagen im Interesse aller Kinder wünschen !! P. K.

AM: Sie schreiben, Sie hätten mein Buch „Dein gerettetes Leben“ gelesen, und Sie danken mir für die gewonnenen Einsichten. Dann stellen Sie mir Fragen, die alle deutlich in diesem Buch beantwortet sind. Das zeigt, dass ein Buch das Fühlen nicht ersetzen kann. Sie schreiben: „Ich selbst wurde als Kind auch öfters geschlagen, was ich aber bisher bewußt nie als besonders belastend empfand.“ Dieser Satz enthält den Schlüssel zu Ihrem Problem. Wenn Sie eines Tages den Mut finden, die Angst des kleinen Kindes, das Sie einst waren, vor seinen schlagenden Eltern zu FÜHLEN und auch den ZORN zuzulassen, den Sie damals nie zeigen durften und den Sie unterdrücken mussten, bräuchten Sie nicht diese Aufgabe unbewusst Ihrem Sohn aufzubürden und könnten ihn vielleicht entlasten (lesen Sie nochmals das Vorwort zum Buch „Dein gerettetes Leben“). Stattdessen haben Sie ihm beigebracht, sich für IHRE Vergehen schuldig zu fühlen, wie Sie es ja auch mit Ihren Eltern getan haben. Er versucht also, seinen berechtigten Zorn zu erdrosseln und lebt in panischer Angst vor diesem Gefühl. Könnten Sie ihm nicht zeigen, dass er sicher Gründe hat, manchmal auch wütend auf Sie zu sein und dass Sie diese Gründe respektieren wollen? So wird es Ihnen beiden möglich sein, sich mit der Wahrheit zu konfrontieren und sich aus dem Gebäude der Verleugnung und Beschönigung zu befreien, zum Wohle Beider. Vielleicht wird Ihnen das Vorwort Mut machen, dieses Gespräch zu wagen.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet