Körpertherapie
Tuesday 09 September 2008
Liebe Frau Miller,
Ende Februar hatte ich Ihnen schon einmal geschrieben mit der Frage, ob Körpertherapie Ihrer Meinung nach auch helfen könnte, an verschüttete Gefühle heranzukommen. Sie hatten mir damals geantwortet vielen Dank dafür! dass das wohl möglich wäre, “sofern der Therapeut den Mut hat, die Eltern nicht vor den Vorwürfen zu schützen” Inzwischen habe ich auch noch Die Revolte des Körpers gelesen, in dem Sie ja auch darauf eingehen, dass auch Körpertherapien die Realität des einstigen Kindes ignorieren können (2005, Nachwort, S. 199).
Vor ca. einem halben Jahr habe ich mich von der Lehrerin, die diese spezielle Art von Körpertherapie lehrt, getrennt.
Es fielen mir nach dem Lesen ihrer Bücher einige Dinge auf, die sie in Seminaren predigte, die mit meiner Wahrheit einfach nicht mehr zusammen passten. Als ich sie darauf ansprach, beschuldigte sie mich, mit mir könne sie ja gar nicht neutral sprechen, ich sei ja total emotional, hektisch und zu laut, wohl in einer Übertragung gefangen und bräuchte dringend Einzelsitzungen.
Ich war schlichtweg überrascht. Sie hatte mich überhaupt keinen Satz zu Ende reden lassen, hatte überhaupt nicht verstanden, um was es mir ging und ICH war zu hektisch und brauchte Sitzungen? Ich brach das Gespräch ab und versuchte, mir über meine Gefühle klar zu werden. Ich merkte, das Gelesene zeigte bereits Wirkung: ich hatte keine Angst und keine Schuldgefühle, wie ich sie ein paar Monate vorher noch gehabt hätte! Außerdem wurde mir sehr schnell klar, dass eine Übertragung vorher schon, bis dahin, statt gefunden hatte. Denn ab dem Zeitpunkt, wo mir klar wurde, was meine Mutter alles an mir verbrochen hatte, wurde mir auch klar, welche Rolle ich dieser Lehrerin zugeschoben hatte. Jetzt konnte ich die Übertragung beenden und sie so sehen, wie sie wirklich war und wie sie versucht hatte, mich (und andere) für ihre Zwecke zu benutzen. Die eigentliche Körpertherapieform, die sie entwickelt hatte, halte ich weiterhin für sehr gut, um vielen Menschen die Möglichkeit zu geben, an die in ihrem Körper gespeicherten Gefühle zu kommen. Mir ist aber jetzt auch sehr klar, warum es vielen nicht geholfen hat: In den Seminaren, um die eigentliche Therapie herum wurde ständig positive thinking gepredigt, die Einfühlung in die Situation der Eltern und es wurden viele gute Ratschläge erteilt, die vieles wieder verschüttet haben, was in der eigentlichen Therapie sich nach außen gewagt hatte.
Außerdem passierte es sicherlich nicht nur mir, dass ich manchmal richtige Schuldgefühle hatte, weil es bei mir nicht so voran ging, wie es andere von sich erzählten sicherlich machte ich irgendetwas falsch??
Wichtig ist für mich jetzt geworden, den Klienten empathisch zu begleiten und NICHT neutral zu bleiben, wenn er Gefühle wahrnimmt, die er gar nicht mehr kannte, oder die Angst oder Wut machen – ihn auch zu ermuntern, zu erzählen, wenn er Bilder sieht, die dabei manchmal mit hochsteigen und dabei zu bleiben, sie sich in Ruhe anzuschauen und hinein zu fühlen-mit Begleitung. Gelernt hatte ich bisher, dabei höchstens aha oder interessant sagen zu dürfen und sie dann schnell wieder gehen zu lassen.
Ich spüre jetzt so deutlich, dass man doch niemanden damit allein lassen kann! Mindestens müsste ich anregen, dass er/sie sich bei sehr starken Gefühlen einen guten, begleitenden Therapeuten sucht, der ihm/ihr hilft, mit Hilfe dieser Gefühle sich weiter zurück in die Kindheit zu wagen (Ich habe Ihre FAQ-Liste dafür ausgedruckt).
Mir persönlich hat es sehr geholfen, über den Körper überhaupt in Verbindung mit meinen vergessenen Gefühlen gekommen zu sein. Das war, als wenn man nach langer Zeit eine alte Kiste wieder findet, und man hat überhaupt keine Ahnung, was sich darin befinden könnte. Wenn man sie dann aufmacht ist man überrascht über den Reichtum, manchmal auch erschrocken darüber, was sich da alles so findet.
Es hat natürlich nicht gereicht, diese Kiste einfach aufzumachen. Ich musste schon viel Mut aufbringen, mir das zum Teil ziemlich vergammelte Zeug anzufassen (zu begreifen) und dann entscheiden, was man damit macht. Diese Arbeit war in den oben beschriebenen Seminaren nicht möglich. Jedoch habe ich jetzt nach dem Lesen Ihrer Bücher mit Hilfe dieser Kiste einen nicht mehr ganz so schweren Zugang zu vielen Erlebnissen und Gefühlen aus der Kindheit gehabt. Ich verstehe jetzt, warum ich meine Tochter in den ersten Monaten als Milch und Energie saugendes Monster empfunden habe, warum sie mir so fremd vorkam, warum ich soviel Wut auf sie und ihr Gebrüll hatte und warum ich hoffnungslos überfordert war! Sie ist jetzt mit 14 noch Bettnässerin, und ich konnte ihr neulich sagen, dass mir vieles sehr Leid tut, was ich in den ersten und weiteren Jahren gesagt, getan und von ihr verlangt habe ich hatte es nicht anders gewusst, teilweise nicht einmal richtig gemerkt.
Sie nickte sehr ernst, sagte lange gar nichts, und wechselte dann das Thema. Im ersten Moment wusste ich nicht, ob es richtig war, ihr das gesagt zu haben, zu diesem Zeitpunkt, oder in dieser Art. Ich spürte aber ziemlich genau, dass etwas angekommen ist bei ihr und dass ich auch nicht mehr sagen durfte, um sie nicht zu überfordern.
Was ich jetzt, ein paar Monate später merke, ist, dass sie die Schule und andere Aufgaben etwas entspannter angehen kann, dass sie besser ihre eigenen Entscheidungen treffen kann, dass sie sich traut, mich auf einen Fehler hinzuweisen, selbst Fehler zu machen und dass sie immer öfter nachts trocken ist!
Ich habe jetzt die Klarheit und die Energie, meine eigene Praxis zu führen – ohne offizielles Zertifikat der oben erwähnten Lehrerin! Bei all der inneren Arbeit, die ich noch zu bewältigen habe, so ist mir doch mein Weg inzwischen sehr klar!
Ohne Ihre Bücher wäre ich hier noch lange nicht! Nochmals ganz herzlichen Dank für Ihre unkorrumpierbare Klarheit und Ihren Mut!
Herzliche Grüße, I.H.
AM: Ich bin froh, dass Sie sich Ihre Frage vom Februar selber beantworten konnten. Was nützt es, durch Berührungen des Körpers Gefühle zu wecken, die man dann nicht verstehen darf und mit der Pädagogik und Moral unterdrücken muss? Der Körper will uns doch mitteilen, wie wir gelitten haben und was uns so früh verletzte, als wir uns nicht wehren durften. Das muss im Zusammenhang mit unserer Geschichte verarbeitet werden.