Der Mut,

Der Mut,
Wednesday 06 January 2010

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Liebe Alice Miller,

ich lese regelmäßig ihre Leserpost und ich bin sehr froh um ihre Website. Herzlichen Dank!

Die letzen Briefe haben mich sehr berührt. Ich kann gar nicht genau sagen was genau es ist. Ich schreibe einfach mal.

Seit ein paar wenigen Jahren in meinem fast 50 jährigen leben kenne ich es wütend zu sein.
Vorher war ich schuld an allem und lebte mit genau so einem Selbstbild, dass es mir zunächst gar nicht auffiel,
so selbstverständlich war es mir.

Selbst nach Jahren der Lektüre ihrer Büchern, des Aufdeckens meiner Wahrheit, des Sehens und Fühlens
der erlittenen Grausamkeiten meiner Kindheit. Keine Wut.

Ich verstand eher die Beweggründe der grausamen Menschen in meinem Leben als das ich wütend wurde.

Das passte auch gut in das Umfeld, in dem ich mich damals noch bewegte, allerlei therapeutische Richtungen,
eher bodenständigere, auch spirituelle…etc….

dann kam, wohl hauptsächlich Ihnen und meiner Hartnäckigkeit sei Dank! der Tag an dem ich erstmal
überhaupt keinen mehr verstehen wollte. Ich hatte einfach keine Lust mehr. Es war nichts mehr zu rütteln.

Zunächst einmal tiefste Erschütterung zu sehen wie sehr ich mich aus alter Gewohnheit genau wie meine Eltern und viele andere
in meiner Kindheit ständig selbst übergangen habe.
Es war seltsam, doch gleichzeitig war da fast ein Schmunzeln in mir, eine leise Freude, fast so wie man ein Kind anschaut das sich
hinstehn traut für sich.

Dann kamen von Bekannten Sprüche wie: du wirst radikal…. vor allem eben bei Themen Kindheit etc.

Das hat mich stutzig gemacht, doch dann dachte ich: mensch, bei dem was du hinter dir hast und wie du dich rausgewurschtelt hast,
da darfst du auch radikal sein für andere.

Es wächst mir dadurch enorme Lebenskraft zu. Dieser Zuwachs ist in meinem Leben eine Richtschnur geworden.

Auch in meiner Partnerschaft gibt es Differenzen. Doch bleibe ich mittlerweile bei meiner Wahrheit und äussere diese auch mit Nachdruck,
gerade wenn es um das Wegdrängen von Kindergefühlen geht. SIe glauben nicht wie oft da an mein Verständnis für den “abgespaltenen” Erwachsenen
appelliert wird.
Ich bleibe bei dem was ich aus “Kindersicht” wahrnehme und halte dann lieber die innere Distanz zu meinem Partner aus als die innere Distanz zu mir.

Ich will auch keinen mehr “missionieren”
auch wenn ich manchmal allein bin auf weiter Flur mit meiner Sicht der Dinge.

Das ist sicher einer der Gründe weshalb ich so gerne die Leserpost ihrer website lese.

Doch eins erlebe ich: So richtig alleine fühle ich mich nicht mehr , weil ich Kontakt zu mir habe, einer Erwachsenen, auf die sich ihr
Kind verlassen kann.

Manchmal noch habe ich das starke Gefühl mich verständlich ausdrücken zu müssen, vor allem in meiner Partnerschaft,
es klingt die Ohnmacht und Auswegslosigkeit von früher mit, wenn ich was für mich erreichen wollte..

doch kann einer der nicht gefühlt hat was er erlitten hat, nicht ertragen zu sehen dass er genau dasselbe anderen antut,

das deutlichste Argument ist dann ich würde es nicht verstehen, weil ich keine Kinder habe.

Ich sage dann: ich habe keine, jedoch war ich eins und darüber weiss ich genau Bescheid.

Herzlichen Dank für die Möglichkeit Ihnen schreiben zu können.

Ihre G

AM: Sie schreiben: “Im Grunde merke ich gerade, dass ich gerne “radikal” bin. Ich bin froh, dass es endlich so ist. Und es ist ruhiger in mir geworden dadurch, weil einfacher und klarer.” Sie beschreiben so den Prozess und dessen Vorteile. Dazu kann ich Ihnen nur gratulieren, denn die Radikalität gibt Ihnen Mut, weitere Entdeckungen zu machen.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet