Danke

Danke
Tuesday 30 August 2005

Sehr geehrte Frau Miller,

zuallererst möchte ich Ihnen meinen aufrichtigen Dank aussprechen! Einen Dank, den ich wahrscheinlich früher nie so ehrlich meinen konnte!

Zu Ihnen bin ich durch meine ältere, an einer schweren Krankheit leidenden (wobei sie niemals leidet, sondern immer nur positive Energie ausstrahlt) Schwester gekommen, die sich schon seit Jahrzehnten mit anderen Dingen befaßt, als bloß mit der Schulmedizin….

Sie gab mir Anfangs Coehlo, dann Peter Lauster und zu guter Letzt laß ich als erstes von Ihnen “Die Revolte des Körpers”. Das war im Frühjahr 2005. Sie warnte mich vor der schwer verträglichen Materie und daß ich es vielleicht nicht zu Ende lesen könnte. Ich tat es mit kritischen Hinterfragen und Leidenschaft.

Aber erst als ich bei ihr (meiner älteren Schwester – ich habe 5 Geschwister und bin das 2.jüngste Kind) im Bücherregal “Evas Erwachen” fand, mit zum Urlaub am Meer nahm und dort auch in Ruhe las, wurden mir meine Augen, meine Seele geöffnet!!

Zu meiner Vorgeschichte:

Ich sah meine Eltern immer so unter den Top 10% von den “guten” Eltern.

Ich hatte aber immer ein total unterentwickeltes Selbstwertgefühl. Ich sah mich als nicht gut genug an. Und wenn ich eine neue Freundin hatte, wollte ich ihr immer alles Recht machen. Und oft hatte ich keine langen Beziehungen, denn ich beginn meine Partnerinnen nach einiger Zeit zu meiden und manchmal empfand ich Abscheu und Hass vor ihnen! Aber ich wußte auch soviel, daß dieses Gefühl von mir ausging (und ursächlich war) und daß es darin lag´, weil ich mich nicht selber akzeptierte/liebte!

Meine Freunde haben nie verstanden, daß ich kein Selbstwertgefühl besaß, denn ich sehe gut aus, habe gute Umgangsformen, bin charmant und freundlich und wollte immer Allen gefallen /alles Recht machen….

Wir haben eine strenge und manchmal laute Mutter. Sie hat uns zwar nicht wirklich oft geschlagen, aber einmal im Jahr konnte sie schon “explodieren”. Ihre Mutter (meine Großmutter) war Tochter eines Polizeikomandanten in Wien der 20.er und 30.er Jahre (… ), galt als Mauerblümchen und war leider nur kurz verheiratet, weil Ihr sehr geliebter (oder war´s verehrter) Mann im WW2 fiel, und Sie verschrieb sich danach (aus Gram? oder Flucht) total der römisch kathol. Kirche.

Meine Mutter wuchs also Vaterlos auf und versuchte sich, glaube ich, sehr von ihrer Mutter abzugrenzen. Sie ging in den frühen 60.er Jahren als Aupair Mädchen ins Ausland, ist überhaupt nicht gläubig und statt sehr sparsam mit dem Essen zu sein (wie meine Oma – Zwischenkriegsgeneration), kocht meine Mutter immer gerne groß auf. Wenn ich was sagen kann, dann das, daß die “Liebe meiner Mutter” durch den Magen geht.

Ich war, glaube ich, ihr “Lieblingskind” – bin aber der dünnste in der Familie…..

Sie erzählt manchmal, daß ich soo brav war und wenn ich in der Gehschule im Garten war, nie herausgeklettert bin, wie alle meine anderen Geschwister (hatte ich doch scheinbar Angst vor den Sanktionen – und wollte ich nur Ihre Liebe, die sie mir nicht geben konnte)…

Ich war sooo brav, daß meine erste Kindheitserinnerung folgende ist:

16. August 77 (wie ich heute weiß): Elvis Todestag

Meine Mutter war großer Elvis-Fan; und ich erinnere mich, daß ich damals sehr weinte und mir immer nur dachte, warum bin ich nicht statt diesem Elvis gestorben… (übrigens auch ein Mensch, der sicher auch an seiner “Mutter- & Vaterliebe” zugrunde gegangen ist…. Vater war Trinker und Mutter starb wahrscheinlich an Überfettung als der Sohn beim Militärdienst war)

Ich wußte, daß ich nie gedrückt oder umarmt wurde (zumindest nicht in meiner Erinnerung) und daß ich nie einen Satz aus Ihrem Mund hörte wie: “ich hab´ Dich lieb” (geschweige denn “Ich liebe Dich”). Mit 16 Jahren schenkte ich ihr noch öfters – ohne besonderen Anlaß – Blumen – einfach so ( vergebliches “Liebeswerben” nenne ich das jetzt)! Damals hörte ich ein: “Ist das aber lieb von Dir!” – das war´s.

Mein Vater (auch kriegsbedingtes Einzelkind) hatte eine aufgeschlossenere Mutter. Aber er war beruflich nie da. Und ich habe das erste Mal im 18. Lebensjahr (bewußt) seine Empathie gespürt – damals hat mein Herz Saltos geschlagen.

Ich weiß heute sehr, daß ich mich immer um seine Anerkennung bemüht habe – die ich erst heute (manchmal) erhalte. Aber für mein Inneres Selbst (mein Inneres Kind, meine Seele) ist das viiiiiel zu spät gewesen…. Als kleines Kind war ich die Heulsusse für ihn – & während er mit meinen älteren Brüdern (ich bin der jüngste Bub) auf den Rummel ging, durfte ich nicht mit…

Als ich also Ihr “Evas Erwachen” lesen durfte, kam ich zu einer Geschichte über eine Frau, die sich total für Alle aufopferte, aber trotzdem (oder gerade deswegen) von Ihrem Mann ausgenutzt und schlecht behandelt wurde. Und nur durch diesen Nebensatz, indem Sie ihn als Hedonisten bezeichnen, der seinen Mutterhaß auf seine “Beziehung” abwälzte, wurden mir die Augen/ der Verstand geöffnet. Seitdem weiß ich!!

Ich lag dann noch sicher 2 Stunden am Strand und wollte sehen, denn plötzlich fühlte ich mich nach diesem, an mich gerichtetes Geständnis soooo (Angst-)frei. Ich wollte für mich und meine Seele leben und fühlte mich nicht mehr sooo schuldig (was mir immer alles eingeredet wurde). Seit diesem Tag (skurillerweiße der 28. Todestag Elvis Presley´s) muß ich nicht mehr rauchen und trinken (obwohl ich über 15 Jahre beides oft und exzessiv tat)!

Manchmal greife ich zwar noch zum Glimmstengel und zum Alkohol (aber nur dann, wenn ich nicht “bei mir” bin, oder wenn ich mich absichtlich dazu entschließe, weil ich z.B. die Umgebung “scheinbar” nicht anders verkrafte…). An diesem muß ich noch arbeiten, an dem “bei mir” sein. Und ich bin sehr froh, daß mir eine Lektüre “in die Hände gefallen ist” – “Aussöhnung mit dem inneren Kind” von Chopich/Paul – die mir bei der Umsetzung sehr hilfreich ist auf meine Emotionen und Gefühle zu hören und zu reagieren (denn ich besuche keinen Therapeuten – obwohl ich das wahrscheinlich schon lange hätte tun sollen)!

Jetzt fühle ich mich allerdings so stark und frei (nicht sooo frei, daß ich nicht auf andere Rücksicht nehme – zumindest in einem sozialem Zusammenhang), daß ich keinen Therapeuten mehr brauche. Denn mein Therapeut ist mein “Ratio”, der auf die Gefühle des Kindes erklärend, wissend (obwohl man nie alles weiß und sich das auch eingestehen können muß) und liebevoll reagiert!

Ich habe letzte Woche im Familienbetrieb gekündigt und bin seit 5 Tagen NICHT mehr Mitglied irgendeiner Glaubensgemeinschaft!

Sehr geehrte Frau Miller, ich danke Ihnen noch einmal von ganzem Herzen und wünsche Ihnen nur das Beste und Liebste,

A.

PS: Sie können gerne dieses Schreiben veröffentlichen. Ich werde im übrigen für diese, “Ihre” Sache versuchen zu arbeiten und mich einzusetzen. Für eine schönere und glücklichere Zukunft.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet