Selbsthilfegruppe für einst mißhandelte Kinder

Selbsthilfegruppe für einst mißhandelte Kinder
Monday 17 July 2006

Liebe Frau Miller,

vielen Dank, dass Sie die kleinen Kinder, die in uns gefangen sind für uns sichtbar machen. Einerseits geben mir Ihre Einsichten Mut, nach diesem Kind weiter zu forschen und es spüren zu wollen, andererseits sind meine Hoffnung und Erwartung auf Heilung des Kindes – ich dachte bisher, dass sei die Voraussetzung für meine Zukunft als “intakte” Persönlichkeit – auch gedämpft worden.

Ich bin seit fünf Jahren in Therapie und habe mich diesem kleinen Kind erst in den letzten Monaten etwas genähert. Aber immer noch ist es mir fremd und ich empfinde selbst Angesichts der Vergangenheit der kleinen Anke kein Mitleid für sie. Nur manchmal, wenn ich in ihrem nachdenklich freundlichen Blick auf dem Foto eines Kinderausweises forsche, schiessen Tränen in mir hoch (aber selten bis in die Augen). Ich empfinde Verachtung für meine Eltern, aber keine Empörung oder Wut, vielmehr eine gewisse Resignation “So sind sie halt!”.

Frau Miller, ich möchte so gerne Zugang zu dem kleinen Mädchen bekommen. Ich habe aber sehr, sehr große Angst davor, dass mich ihre Gefühle überwältigen. Ich fürchte für mich, meinen Mann und meinen Sohn, dass ich dann nicht mehr funktionieren kann. Auf der anderen Seite hoffe ich, dass ich durch die kleine Anke auch meine Gefühle für meinen Sohn und meinen Mann leben kann.

Ich möchte gerne einmal an der Sitzung einer Selbsthilfegruppe teilnehmen. Ich glaube, es könnte mir Mut geben, zu sehen, dass das Kind in uns uns nicht “auffrisst”, wenn man es raus lässt. Können Sie mir einen Kontakt in München nennen?

Vielen Dank, A. N.

AM: Vielen Dank für Ihren klaren, aufrichtigen Brief. Der Gedanke, dass Ihnen eine Gruppe helfen kann, die kleine A. zu entdecken und sie lieb zu bekommen, scheint mir sehr richtig. Ich kann gar nicht begreifen, dass Sie fünf Jahre lang in einer Therapie waren und erst seit einigen Monaten realisieren, dass Sie ein misshandeltes Kind gewesen sind. Was haben Sie denn in diesen fünf Jahren gemacht? Leider kann ich Ihnen keine Adresse vermitteln; Sie müssen sich selber in München umschauen. Vielleicht können Sie sich sogar durch Google informieren lassen und probieren, wie es Ihnen in einer solchen Gruppe geht. Ich habe aus Ihrem Brief den Eindruck, dass Sie jetzt genau wissen, was Sie suchen, worum es Ihnen geht, und daher werden Sie schnell merken, wenn Ihnen eine Gruppe nicht zusagt. Dann können Sie es mit einer anderen versuchen. Es wäre gut, wenn Sie meine Artikel lesen könnten, vor allem die FAQ-Liste. Sie brauchen nicht zu fürchten, dass Sie nicht mehr “funktionieren” werden, wenn Sie sich Ihrer Wahrheit nähern werden. Wir sind nicht auf die Welt gekommen, um zu funktionieren, sondern um zu leben. Dafür brauchen wir den Kontakt mit unserer Geschichte, unseren frühen Emotionen und unseren Wurzeln. Wenn Sie lernen, Ihre Gefühle zu verstehen, werden Sie auch Ihren Mann und Ihren Sohn besser verstehen können. Ich wünsche Ihnen die Kraft, das zu realisieren, was Sie mit Recht vorhaben.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet