Wie kann ich das Wissen vermitteln?

Wie kann ich das Wissen vermitteln?
Thursday 07 July 2005

Sehr geehrte Frau Miller, schönen guten Abend! 🙂

In den letzten Wochen habe ich mehrere Ihrer Bücher gelesen und die anderen noch vor mir, aber bereits jetzt möchte ich Ihnen (m)ein überaus herzliches DANKESCHÖN aussprechen!!! 🙂

Vermutlich hören bzw. lesen Sie dies ja wahrscheinlich so oft wie nur ganz wenige andere Menschen, aber Sie haben wie auch nur ganz wenige andere Menschen der Menschheit den Blick auf ganz elementare und grundlegende menschliche Wahrheiten geöffnet und tragen so hoffentlich einen ganz wesentlichen Beitrag dazu bei, daß zukünftige Generationen vielleicht / hoffentlich tatsächlich bessere Menschen hervorbringen werden.

Vermutlich stehe ich selbst auch erst mehr oder weniger am Anfang (m)eines wohl noch längeren Erkenntnisprozesses, aber bereits jetzt kann ich mit Worten kaum umschreiben, was mir beim Lesen Ihrer Bücher und meinen unabhängig davon parallel stattfindenden wöchentlichen Therapiestunden in den lezten Wochen an Klar- und Wahrheit sowie Einsicht und Verständnis “geschenkt” wurde …!!! 🙂

Ihnen hoffentlich weiterhin einfach nur wirklich alles Liebe und Gute, hoffentlich viel Erfolg bei der Verbreitung Ihrer Thesen / Wahrheiten und uns Allen dementsprechend vielleicht doch noch eine zumindest etwas hoffnungsvollere Zukunft …!!! 🙂

VIELEN DANK!!! 🙂 J. L.
P.S.:
Ein paar Fragen stellen sich mir allerdings noch: * Wie “überzeugt” bzw. “öffnet” man zumindest mißtrauische Zeitgenossen von Ihren Gedanken / Thesen / Wahrheiten
* Wie “verhalte” ich mich als 41-jähriger Mann meinen ca. 80-jährigen Eltern gegenüber?
* “Plädieren” Sie (wirklich) dafür meine Eltern explizit noch einmal mit ihren Taten und Handlungen zu konfrontieren und dementsprechend regelrecht und direkt anzuklagen oder reicht es, wenn ich mir selbst meiner Kindheit und des dort Erlebten / Gefühlten bewußt werde?
* Ich fürchte, daß ich im Falle einer “echten Anklage” einen regelrechten Krieg mit meinen vier Schwestern riskieren würde, die mir ja jetzt schon vorwerfen, daß ich überhaupt keine Rücksicht auf die Belange unserer Eltern nehmen würde und daß ich mir doch langsam mal darüber klar werden sollte, was ich ihnen Alles verdanke.
* Es wäre wirklich toll, wenn Sie vielleicht trotz Ihrer mit Sicherheit vorhandenen Zeitnot mir vielleicht kurz und stichwortartig ein paar Tipps geben könnten
* Sie können diese E-Mail gerne komplett veröffentlichen bzw. “verwerten”.
* Und ich erlaube mir noch den Hinweis: Ich würde mich ziemlich glücklich schätzen Sie einmal persönlich kennenlernen zu dürfen. Ich stelle Sie und Ihr Bestreben nach “Wahrheit” mindestens auf eine Stufe mit Galileo Galilei, Kopernikus oder anderen Menschen, die einfach “nur” die Wahrheit verbreiten wollten. Noch einmal ein ganz dickes Lob für Ihren Mut und Ihr Standvermogen!!! 🙂
* NOCHMALS VIELEN HERZLICHEN DANK!!! 🙂


AM: Mein Eindruck ist, dass es Ihnen sehr stark darum geht, Ihr Leben aus Ihrer Kindheit heraus besser zu verstehen, und ich will daher auf Ihre Frage, der ich häufig begegne, so gut ich kann eingehen.
Leider lässt sie sich nicht allgemein beantworten, da die Situation nicht in allen Fällen die gleiche ist. Manchmal ist eine Konfrontation mit den Eltern nötig, um sich der Realität zu vergewissern, falls man dazu neigt, diese noch vor sich selber zu leugnen. Doch wenn diese schließlich klar gesehen wird und erlitten wurde, ist eine direkte Konfrontation nicht unbedingt nötig. Der starke Wunsch nach ihr kann auch die Hoffnung enthalten, dass man sich in seinem Urteil getäuscht hat oder dass die Eltern sich inzwischen geändert hätten, d.h. dass man doch noch Verständnis bei ihnen findet, wenn man ihnen nur alles richtig erklärt.
Manchmal glaubt man, dass man sich stärker fühlen wird, wenn man sich den schwachen, alten Eltern gegenüber sieht. Das kann vorkommen, muss aber nicht so sein. Die im Erwachsenen unbewusst latent wirksame Angst des kleinen Kindes vor seinen gewalttätigen Eltern ist sehr groß und kann uns ein Leben lang begleiten. Sie bewusst zu erleben, ihre Berechtigung zu verstehen und sie auf diesem Wege zu überwinden, ist die Aufgabe der Therapie. Wenn dies in der Therapie gelingt, werden Konfrontationen mit den Eltern kaum noch gesucht. Dann lassen sich manchmal Konflikte mit den Geschwistern umgehen, besonders, wenn man deren Angst akzeptieren und respektieren kann, weil man doch aus Erfahrung weiß, wie hartnäckig diese Angst sein kann.
Wir können nur die eigene Angst überwinden, unsere eigene Verleugnung aufgeben. Aber nicht die unserer Geschwister. Wenn sie diesen Weg nicht beschreiten wollen, sind wir machtlos. Es ist für uns schmerzhaft, in den Geschwistern keine wissenden Zeugen zu haben, aber auch dies müssen wir als unser Schicksal zu akzeptieren lernen. Mit der Zeit finden sich vielleicht Freunde, die Ähnliches erlebt haben und zu wissenden Zeugen werden können.
Vielen Menschen gelingt es, die Angst vor den übermächtigen, bedrohlichen Eltern zu überwinden, wenn sie ihnen Briefe schreiben, die sie nicht wegschicken. Da können sie unzensiert dem kleinen Kind, das sie einst waren, die Stimme geben und im Schreiben die bittere Enttäuschung, die ohnmächtige Wut, die gewaltige Empörung und schließlich die unendliche Trauer zum ersten Mal zulassen und fühlen, die seit Jahrzehnten zum Schweigen verdammt wurden. Eine Konfrontation mit den realen Eltern kann dieses Ereignis nicht ersetzen.
Ich wünsche Ihnen viel Glück in Ihrer Therapie.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet