Warum sollte man sich Traumen “ausdenken”?

Warum sollte man sich Traumen “ausdenken”?
Friday 18 April 2008

Liebe Frau Miller,

ich habe schon einmal geschrieben. Ich mache z.Zt. eine Psychotherapie, da ich unter einer Wochenbettdepression bzw. Psychose litt/leide…

Glücklicherweise habe ich eine Therapeutin gefunden, die wohl ähnliche Ansichten wie sie vertritt. Nun ist mir schon zweimal während des Einschlafens passiert, das ich eine Art Traum erlebte: Es ist eine Situation wo ich irgendwo liege und mir jemand etwas tun will, jedenfalls will ich mich wehren und einfach da weg, bzw. aus dem Traum aufwachen.

Es besteht wirklich der Verdacht des sexuellen Missbrauchs, da mein eigener Vater mir sogar einmal sagte, dass- sollte er sich denn an mir vergangen habe- er hoffe, Gott würde ihm verzeihen…(Als er mir das sagte, befand ich mich in einer schrecklichen psychischen Not und war ca. 21 Jahre alt…)

Offiziell habe ich im Alter von ca. 18 Jahren meine Vermutung (denn bewusst erinnere ich mich an nichts…) in Anwesenheit meiner beiden Eltern geäußert, worauf ich als Antwort nur einen hochroten Kopf meines Vaters sowie den Satz meiner Mutter hörte: “Vielleicht hast Du irgendwas nicht verarbeitet aber sowas tut Papa doch nicht und jetzt lass uns in Ruhe damit!”

Es herrscht also wirklich eine schizophrene Situation. Denn eigentlich bin ich ja nur schizophren und bilde mir da was ein. Andererseits die Aussage meines Vaters…

Bitte helfen Sie mir einen Schritt weiter. Wie deuten Sie meine Träume, ist es das, was mir passiert ist, bricht es da durch? Oder bilde ich es mir ein?

Ich bin dankbar, über das Internet Ihre Seite gefunden zu haben und Ihre Bücher. Sonst wäre ich an dem ganzen Nicht-Wissen-Sollen schon im Irrenhaus… Meine Therapeutin hilft mir sehr, ich möchte nur noch eine Meinung zu diesen Träumen…

MfG, A.

AM: Sie schreiben: „Offiziell habe ich im Alter von ca. 18 Jahren meine Vermutung (denn bewusst erinnere ich mich an nichts…) in Anwesenheit meiner beiden Eltern geäußert, worauf ich als Antwort nur einen hochroten Kopf meines Vaters sowie den Satz meiner Mutter hörte: ‚Vielleicht hast Du irgendwas nicht verarbeitet aber sowas tut Papa doch nicht und jetzt lass uns in Ruhe damit!’“
Wenn ich solche Sätze lese, habe ich nicht den geringsten Zweifel, dass Sie sexuell missbraucht wurden, aber ich kann gut verstehen, dass Sie noch mit 18 vor einer Mauer standen und angst hatten, auf Ihren Ahnungen zu bestehen. Jetzt aber können Sie sich leisten, Ihre Angst zu überwinden und Ihre Wahrheit zu erkennen, weil Sie offenbar eine mutige Therapeutin haben und meine Bücher lesen. Warum sollte sich jemand ausdenken, dass er in der Kindheit schwer gelitten hat? Wollen nicht alle Menschen eher glauben, sie hätten eine gute Kindheit gehabt? Daher ist unsere Welt im Grunde so verrückt. Sie haben recht, den Kindern wird die Schizophrenie aufgezwungen, um die Fassade der Eltern zu retten: “Papa tut sowas nicht und lass uns jetzt in Ruhe”. Das ist doch schrecklich!

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet