Das Warten

Das Warten
Wednesday 27 December 2006

Liebe Frau Miller,
vielen Dank für Ihre antwort.
ja tatsächlich scheine ich mich zu fragen, was ICH denn falsch mache. das nichtmelden meiner eltern auf meinen brief, indem ich ihnen erklärt habe warum ich zu weihnachten nicht kommen werde, tut mir weh, was mir zeigt, daß ich innerlich doch noch auf eine antwort gewartet habe.
es stimmt, daß ich vom verhalten meiner mutter abhängig bin wenn ich erwarte, daß sie mir zu liebe auf den alkohol verzichte.
jedoch ist der kontakt zu meinen eltern ja nicht auf meine initiative sondern die meiner eltern vor allem mutter zustande gekommen und sie meinte, daß sie über vieles nachgedacht hat und jetzt weiß was ich gemeint habe, wenn ich gesagt habe ich will MEINER SELBST willen geschätzt werden und daß mein wert darüber definiert wird ob ich meinem bruder helfe oder nicht.
auch beim ersten treffen sprach sie viel über ihre eigenen sozialen ängste und hat verstanden was ich meine mit „an die nächste generation weitergeben“
ich hatte das gefühl es hätte sich etwas getan und als hätte sie tatsächlich erkannt.
Halten Sie es für möglich, daß, wenn es zu einer tatsächlichen erkenntnis der eltern kommt, damit meine ich auch anerkennung von fakten („ja ich habe dich geschlagen“ „ja ich habe dir nachhaltig geschadet mit meinem verhalten“ „) , wenn es möglich ist, daß die kinder ihre gefühle ausdrücken können: „ich bin wütend auf dich“ „du hast mir nachhaltig geschadet“ ohne beschneidung, ohne verzerrung, authentische gespräche..daß dann eine gesunde beziehung in der gegenwart möglich ist?
ich spreche hier von theorie, denn tatsächlich glaube ich kaum, daß soetwas stattfinden kann, wenn dann nur sehr vereinzelt.
jedoch wäre in diesem fall es ja auch notwendig zu warten, ob die mutter sich z.b. daran hält keinen alkohol zu trinken.
in jeder beziehung ist man ja davon abhängig wie der mensch sich verhält.
und wenn sich ein mensch tatsächlich verändert hat, muß man ja zuerst darauf warten ob er sich auch wirklich verändert hat oder es nur vorgibt.
meinen Sie, daß dieses warten möglich ist, ohne, daß seinem inneren kind zu schaden?
Liebe Grüße, V

AM: Ich kann Ihre Frage nicht allgemein beantworten. Sie müssen schauen, was Ihnen an Kompromissen möglich ist und was nicht. Ihr Körper wird Ihnen helfen, dies herauszufinden. Und Sie dürfen ihm vertrauen. Wenn Sie sich eine Beziehung wie zwischen zwei Erwachsenen wünschen, dann haben Sie meines Erachtens kein Recht, von Ihrer Mutter Abstinenz zu verlangen, Sie müssen es ihrer Entscheidung überlassen, ob sie trinkt oder nicht. Aber natürlich brauchen Sie sich nicht zu zwingen, Dinge zu ertragen, die Sie nerven. Als Erwachsene sind Sie frei, nur das Kind kann nicht ohne Mutter leben, aber als Erwachsene können wir das lernen.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet